In moderatem Tempo

Die Generation 50 plus lernt im andalusischen Málaga Spanisch in der Master Class. Nach drei Stunden Unterricht ist Feierabend. Dann steht die organisierte Freizeit mit Manolo auf dem Plan

VON GÜNTER EERMLICH

Margarete, die später nur noch Margarita genannt wird, guckt sich leicht irritiert um: Wo sind denn die anderen grauen Panter? „Ich habe mich doch für einen Seniorenkurs angemeldet, para ancianos“, flüstert sie, „und jetzt sitzt hier nur junges Gemüse herum!“ Es ist Sonntagabend in Málaga, und Ida Willadsen, die charmante Direktorin des Malaca Instituto, begrüßt die neuen Sprachschüler im Salon Andalucía. Später drückt sie Margarita und ein paar anderen Damen marineblaue Mappen mit der Aufschrift „Curso Master Class“ in die Hand. „Dieser Spezialkurs ist für unsere im Herzen jung Gebliebenen gedacht“, steht auf einem Infoblatt. Margarita liest, nickt und lächelt.

Montagmorgen. Die „im Herzen jung Gebliebenen“ brüten über dem Einstufungstest. Nach dem Sprachtest werden zwei Master-Class-Kurse eingerichtet: Eine Japanerin und eine Engländerin beginnen bei Zero (Inicial 1), fünf Damen mit etwa gleichen Spanischvorkenntnissen sind in Intermedio 1 eingestuft, das drittniedrigste von neun Niveaus, welche das Institut anbietet. Ein winziger Raum, Tische in U-Form, die spanische Landkarte an der Wand, eine Kreidetafel. Eine Schottin, eine Schwedin und drei Deutsche zwischen 55 und 69 hocken erwartungsfroh beieinander und haben alle die Lesebrille auf der Nase.

Nach der überwiegend trockenen Pflicht – einer Lektion Grammatik (die Formen des Imperfekts) mit der Lehrerin Hortensia – folgt die Kür: zwei Stunden praktische Übungen zum Imperfekt und Konversation. Marie-Carmen rauscht mit einem „Hola chicas!“ (Hallo Mädels!) herein. Eruptiv wie ein Vulkan, die braune Haarmähne mit einer Spange gezügelt, spricht die Profesora mit dem ganzen Körper. Sofort gewinnt sie Vertrauen und Zuneigung der Damen, bringt sie mit Leichtigkeit zum Reden und noch mehr zum Lachen. Heute sollen sich die Damen vorstellen und erzählen, warum sie den Kurs gewählt haben.

Vivi-Ann, Expersonalchefin aus Stockholm, war schon 15-mal in Spanien und plant mit ihrem Mann in den Süden umzusiedeln. Lilian, Hausfrau aus Glasgow, benötigt Spanisch nur im Urlaub und findet es demütigend, wenn ihr der spanische Kellner auf Englisch antwortet. Und Margarita aus Hilden, Gymnasiallehrerin in Altersteilzeit, will später mit ihren Enkeln halbwegs spanisch sprechen. Ihre Tochter ist letztes Jahr nach Barcelona gezogen, ihr Sohn arbeitet auf Gran Canaria in einem Hotel. Mathilde aus Nordhorn und Heide aus Ratingen reisen für ihr Leben gern, kommen gerade von einem Sprachkurs in Sevilla und wollen hier in Málaga ihre Kenntnisse vertiefen.

Alle Teilnehmerinnen haben sich ganz bewusst für die Master Class entschieden. Es sei doch viel netter und entspannter mit Gleichaltrigen, die jungen Leute lernten einfach viel schneller und verdrehten schon die Augen, wenn so eine alte Schachtel die Grammatikform nach x-Anläufen immer noch nicht geschnallt habe. Als Margarita den Begriff tercera edad (drittes Alter) in den Mund nimmt, korrigiert sie Marie-Carmen mit einem Augenzwinkern und schreibt die „korrekte Formel“ an die Tafel: Estás en la flor de tu vida (Du stehst in der Blüte des Lebens). Volltreffer!

Das Sprachinstitut, das einen exzellenten Ruf genießt, liegt auf einem Hügel am Ortsrand von Málaga. Mit der Schulresidenz, dem Club Hispánico, Restaurant und Bar, Filmsaal und Internet-Raum, Sonnenterrassen und kleinem Pool formt die Schule einen Mini-Campus. 15 Minuten zu Fuß sind es hinunter zum Mittelmeer mit seinen Stränden (Note 4), Promenade (Note 3) und seinen unzähligen Fischrestaurants (Note von 2 bis 5).

Nach drei Stunden Unterricht morgens ist Feierabend. Dann steht für die „50 plus“-Schüler die organisierte Freizeit auf dem Plan. Manolo ist der Chef der actividades, im Institut zuständig für die kulturellen und sozialen Aktivitäten. Mal führt er durch die Kathedrale mit ihrer prunkvollen Renaissancefront oder schleppt die Damen durch den Mercado Central mit seinen opulenten Fisch- und Meeresfrüchte-, Obst- und Gemüseständen. Beim Aperitivo in der ältesten Taverne am Ort organisiert Manolo ein Gläschen des süßen Málaga-Weins zu einem Teller mit Miesmuscheln. Manolo! Volles silbergraues Haar, stattliche Statur. Die Früchte seines rund 65-jährigen Lebens stehen dem andalusischen Charmeur ins faltenreiche, sonnengegerbte Gesicht geschrieben. Die Damen hängen an seinen Lippen. Er macht das Fehlen von sprachinteressierten Herren im Kurs mehr als wett. Denn Wolfgang, zurzeit der einzige männliche Schüler des Instituts über 50, hat sich nicht für die Master Class angemeldet, sondern sitzt stattdessen mit Zwanzig- und Dreißigjährigen in einem Kurs für Fortgeschrittene. Überdies grast der Golfjunkie jeden Nachmittag einen der 40 Greens im Umkreis von Málaga ab.

Als erste Sprachschule in Spanien hat das Malaca Instituto die „50 plus“- Kurse angeboten. Weniger Stunden, moderates Lerntempo, nicht mehr als drei Lehrer, soziale und kulturelle Aktivitäten zur Ergänzung des Unterrichts, das seien die Besonderheiten, erklärt die Direktorin und Institutsgründerin Ida Willadsen, eine gebürtige Dänin. Diese Kurse finden nur im Frühjahr und Herbst statt, dann ist es nicht so heiß an der andalusischen Küste. Eine reine Frauenklasse sei die Ausnahme, sagt die Direktorin, normalerweise kämen viele ältere Ehepaare.

Alles kommt bei der Master Class auf den Schultisch, die Themen der Konversation sind aus dem Leben gegriffen: gegenseitige Vorurteile, der weibliche Hormonhaushalt, die persönliche Zukunft der Teilnehmerinnen. Marie-Carmen, die Lieblingslehrerin des Damen-Quintetts, bringt diese Stunde das Thema Klatsch & Tratsch in den bunten Blättern (las revistas del corazón) zur Sprache. Ein Selbstläufer! Die vier Ehen von Schröder und Fischer, die angebliche Legasthenie des schwedischen Königs, die baldige Visite des Schauspielers Antonio Banderas in seiner Geburtsstadt Málaga, die diversen Exzesse von Ernesto von Hannover: Zum Beispiel Ernesto haciendo pipi en la pared durante la EXPO en Hannover. Nie, wirklich nie! würde die spanische Herz-Presse „Ernesto war betrunken“ schreiben, doziert Marie-Carmen, sondern immer „Ernesto war fröhlich“ oder umgangssprachlich: „A Ernesto le gusta el triqui-triqui“ und macht dabei eine viel sagende Trinkgeste.

Heute folgt auf den Sprach- der Kochkurs. Paella de Arroz. Der weiß beschürzte Manolo schreibt die Namen der Zutaten, die so verführerisch auf der Anrichte liegen, an die Tafel. Aceite, pimientos, ajos, tomates, carne, mariscos … Dann legen die Damen vom Kurs arbeitsteilig Hand ans Gemüse: Lilian schneidet die Paprika, Satchiko den ajo und Margarita schneidet die Tomaten – und sich in den Finger. Die Touristen dächten immer, sagt Manolo und fügt die Zutaten in die reichlich mit Öl getränkte Pfanne, das Gericht mit Reis hieße Paella, dabei sei der Name die Bezeichnung für die Spezialpfanne. Wieder was gelernt!

Dann tafeln die Damen und ihr Koch am hübsch dekorierten Tisch und der einen oder anderen Flasche Rioja. Buen provecho!