piwik no script img

Archiv-Artikel

Und alle rufen Fackfack!

Das legendäre White Trash in der Torstraße hatte am Freitagabend ein „Fast Food-Real Life-Rock Drama“ in der Columbiahalle angekündigt. Tatsächlich kann aber eine Abiturfeier unter dem Motto Punk im Oberschwäbischen nicht anders aussehen

VON JÖRG SUNDERMEIER

„Votzi! Votzi! Votzi!“, brüllt der Moderator, eine Art Oliver Geißen (RTL) auf Speed. Maximilian Hecker, Berliner Jammerlappen, der sich auf den Einladungen als „Votzimilian Lecker“ hat ankündigen lassen, steht wie immer etwas kokett-verunsichert da. Dann singt er recht schräg einen Adam-Green-Song und schließlich „Heroin“ von Lou Reed. Ihn begleitet dabei ein Typ, der auf einem Karton herumklopft, anfangs den Takt einigermaßen hält, dann aber vor lauter Freude darüber, dass auch er ein Mikrofon hat, in dasselbe hineinstöhnt. Zwischen den beiden Songs sind Alexander Hacke, der an diesem Abend seinem Nachnamen alle Ehre macht, und der Moderator auf die Bühne gekommen. Hacke machte „Yeah! Yeah!“, der Moderator stopfte sich einen Text namens „Effi Briest 2“, den er von „Votzimilian“ erhalten hat und der wohl lustig gewesen sein soll, nach drei Sätzen in den Mund. Dazu tanzte er ein bisschen obszön.

Der White-Trash-Fastfoodabend ist offensichtlich ein großes Ereignis. Der Tempelhofer Flughafen sah am Freitag Horden junger Leute den Columbiadamm entlangpilgern, denn das legendäre White Trash in der Torstraße, in dem allabendlich allerhand Obskures vor sich geht, hatte ein „Fast Food-Real Life-Rock Drama“ in der Columbiahalle angekündigt. Die Halle war sehr gut gefüllt. Die Pornodarstellerin Cicciolina hat drei Lieder gesungen, es sei süß gewesen und die 53-Jährige so, wie der einschlägige Zuschauer sie kennt, nämlich unschuldig kindlich-sündig. Sagte Melissa zu mir, denn ich habe den Auftritt verpasst. Überhaupt habe ich viel verpasst – dass die Show schon früh beginnt, hatte ich nicht geglaubt. Doch die Trashcats und Circus Stunt Strip Show Girls hatten die Bühne tatsächlich um 21 Uhr betreten. Jetzt sah man gerade Feedom, die Supergroup aus den drei Berliner Exilkanadiern Peaches, Gonzales und Taylor Savvy.

„Sie sind bislang das musikalisch Beste“, sagte Claudia. Ich glaubte es. Danach kam der kleine „Votzimilian“, dann eine Frau, die ein Elvis-Lied sang, dazwischen erwies sich Hacke wie gewohnt als laute Exlegende. Der Moderator kasperte rum, und ein nackter Mann bat die Leute, immer dann, wenn er seinen Namen ruft, mit „Fuck“ zu antworten. Er ruft seinen Namen, die Menge brüllt „Fuck!“. Er ruft, die Menge brüllt. Er ruft seinen Namen zweimal, und, ja, die Menge brüllt Fackfack.

Inzwischen war die Halle zur Hälfte gelehrt, draußen im Barbecuegarten saßen viele Betrunkene und einige Szenetypen, drinnen spielte eine Hardrockband, die von Lemmy von Motörhead gefördert wird. Die Sängerin röhrte, die Gitarren stampften, irgendwann war auch Lemmy auf der Bühne, schade, da waren wir wieder draußen. Drinnen konnte man sich tätowieren lassen; ein paar Dekostücke aus dem White Trash – also Einrichtungsgegenstände, Totenkopffetische und ranzige Sofas aus dem Chinarestaurant in der Torstraße – sollten Atmosphäre schaffen. Getränke hießen „Old Fascist“. Pornobilder wurden auf den Boden projiziert. Es sollte saucool sein.

War es aber nicht. Es war wie eine Abifeier unter dem Motto Punk an einer oberschwäbischen Gesamtschule. Als der nackte Mann zum Hardrock stagediven will, rückt die Menge beiseite und lässt ihn auf den Boden krachen. Man will sich nicht schmutzig machen. Der Nackte gehört auf die Bühne, damit es keine Nackten im Publikum gibt. Passend die „Trashcats“, die, leicht und irgendwie „punkig“ verkleidet, Drinks herumtragen. Dazu viele ungepflegte Männer, die aber aufgedresste Girls im Arm halten. Das alles ist auf eine schon eklige Art heterosexuell und sauber-besoffen.

Von Ekstase aber hat das alles nichts. Bereits um Mitternacht ist die Luft raus, wahrscheinlich war weder Kokain noch Kondition drin. Was sich als anormal geriert, ist gecastet oder vergnügt sich im Backstageraum, erst spät kann man einen Hacke mal vor der Bühne sehen. Das „real life“, das hier geboten wird, besteht aus nichts als Anleihen an die 60er, 70er und 80er, es entwickelt keine eigene Ästhetik. Und wirkt daher nicht. Alles an diesem Abend verlässt sich so sehr auf das Label White Trash, dass der Abend das Image des Ladens zu beschädigen droht. Ein wilder Rausch ist nicht vor einer Guckkastenbühne abzuholen, ein Pornobild macht noch keinen Sex. Ganz im Gegenteil, das Surrogat hilft, das Eigentliche zu vermeiden. Das ist Körperpolitik für Verklemmte, sie verlängert sich dann bald zu einer einzigen Geste des Subkulturseins. In der man sich ganz selbstredend jeden Sexismus erlaubt, denn man ist ja tabulos. Vielleicht erinnert sich noch jemand an das Institut in Mitte, einen fertigen Laden, in dem vor sechs, sieben Jahren reiche Exstars verzweifelt für ihren Ruf soffen. Halbe Kinder standen dabei und bewunderten die alten Säcke. Ein ähnlich müder Club war das White Trash in der Mehrzweckhalle.