Aldi-Art für 12,99 Euro

Morgen winkt eine Vernissage der besonderen Art: Aldi-Nord beginnt mit dem Verkauf von handsignierten Kunstdrucken – in insgesamt 2.335 Filialen. Kunst für alle

Morgen ist es so weit: Norddeutschland, wegen seiner protestantisch-calvinistischen Traditionen ein bisher eher karges Kunstland, verwandelt sich ins Paradies der bildenden Künste. Der Heilsbringer heißt: Aldi. Wenn um acht Uhr früh die Filialen öffnen, werden sich aller Voraussicht nach schon lange Schlangen von Kauflustigen gebildet haben. Die diesmal nicht Computer oder Kamelhaardecken heimtragen werden, sondern handsignierte Kunstdrucke - für 12,99 Euro das Stück.

Norddeutschlands Wände also werden sich 50 mal 50 zentimeterweise mit Graphiken beziehungsweise Bildern von Theresa Dietrich, Emanuelle Grand, Michael Becker (ein Beuys-Schüler), Michael Vogt (ein Gerhard Richter-Schüler) füllen. Der Süden hat es vorgemacht. Dort wurde Aldis Einstieg in den Kunstmarkt im vergangenen Jahr durch blitzschnellen Ausverkauf belohnt. Mit Felix Droese beteiligte sich sogar ein documenta-Teilnehmer an der Discounter-Art-Offensive.

Der ökonomische Trick: Die industriell hergestellten Drucke werden durch eine Handsignatur „geadelt“ und damit in eine Sphäre gehoben, die bisher Handdrucken vorbehalten war. „Das Aufwändigste dabei ist wahrscheinlich die Unterschrift“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK), Hans Wilhelm Sotrop, süffisant.

Was nicht heißt, dass Sotrop die Aldi-Initiative schlecht findet. Im Gegenteil: „Die Tatsache der großen Verbreitung von bildender Kunst halte ich für sehr lobenswert.“ Diskussionen über schlechte Arbeitsbedingungen bei Aldi, Legebatterien-Hype und Betriebsratverbote führen ihm in diesem Zusammenhang zu weit. Schließlich hätten die beteiligten Künstler offenbar Konditionen ausgehandelt, mit denen sie zufrieden seien.

Wie die genau aussehen – etwa, wie viel Cent vom Verkaufspreis zu den KünstlerInnen zurückfließen – ist weder beim BBK noch bei Aldi zu erfahren. „Das ist keine Frage, die man Journalisten beantwortet“, erklärt eine leitende Angestellte des Konzerns. Diese Auskunft gelte auch für alle übrigen Fragen, schließlich habe Aldi grundsätzlich auf die Einrichtung einer Pressestelle verzichtet.

Was dennoch durchsickert: Es wurde keineswegs ein spezieller Einkäufer mit der Kunstbeschaffung beauftragt. „Wir machen das so, wie wir alle unsere Artikel einkaufen.“ Das klingt zwar nicht besonders vertrauenserweckend, aber andererseits: Ist Aldi-Art nicht die aktualisierte Form der alten „Kunst für alle“-Forderung?

Rein quantitativ könnte die Rechnung aufgehen. Aldi-Nord verfügt über 2.385 Verkaufsstellen, immerhin 29 Prozent aller VerbraucherInnen geben Aldi als ihr „Stammgeschäft“ an. Tendenz steigend. Eine Auswertung mehrstündiger tiefenpsychologischer Interviews durch das Kölner Institut für qualitative Markt- und Medienanalyse kommt gar zu dem Schluss, Aldi avanciere zur „neuen Heimat des aufgeklärten Verbrauchers“. Der nämlich erfahre beim Einkauf eine vielfältige „psychologische Entlastung“, weil der Discounter „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ verwirkliche. Letzteres durch die „befreiende Erfahrung, Brüder im gierigen Geist“ zu sein.

Aldi, so legt es die Empirie nahe, kann per Angebotsetzung wahre soziale Wunder vollbringen. Da sollte der Ausgang des Nordens aus seiner selbst verschuldeten Bilderlosigkeit auch kein Problem mehr sein. Stellen Sie sich Ihren Wecker.

Henning Bleyl