: Sieg der Kleinen
Die großen Parteien kriegen in der Krise ihre Anhänger nicht mehr an die Urnen. Im Saarland profitierten kleine Parteien wie die NPD. Aber auch die „Familienpartei“
VON KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Manchmal werden auch die professionellen Demonstrationsbeobachter vom Landesamt für Verfassungsschutz überrascht: „Marx statt Hartz!“ Diese Parole trugen keine PDSler, sondern Anhänger der rechtsradikalen NPD auf einer Montagsdemonstration durch die Straßen des saarländischen Städtchens Völklingen.
Geschockt war vor allem die PDS, die landesweit mit dem Slogan „Hartz IV ist Armut per Gesetz!“ auf Stimmenfang ging. Marx von den Rechtsradikalen „geklaut“. Und dann lagen am Sonntag auch noch landesweit 17.584 Stimmen (4 Prozent) für die NPD in den Wahlurnen; für die PDS mit dem mutmaßlichen Monopol auf Marx aber nur 10.237 Stimmen (2,3 Prozent). Und bei den zeitgleich stattfindenden Oberbürgermeisterwahlen in Saarbrücken kam der Kandidat der NPD, ihr Bundesvorsitzender Udo Voigt, ein gelernter Flugzeugbauer und Hauptmann a. D., sogar auf 4,4 Prozent der Stimmen; und rangiert damit noch vor der Kandidatin der FDP.
Die NPD hatte das Saarland offenbar als kleinstes Flächenland zum Experimentierfeld im Westen ausgerufen. Es scheint, als habe der Protest gegen die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung und die „Mittäterschaft“ (NPD) der Union an der Saar den rechten Rand des Parteienspektrums gestärkt. Vor allem in den Problembezirken der Städte mit überdurchschnittlich vielen Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern und mit einem überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil reüssierte die NPD. Wie schon bei den Kommunalwahlen im Juni lagen ihre Stimmenanteile in einigen Stadtbezirken der Landeshauptstadt auch bei den Landtagswahlen am Sonntag über der 10-Prozent-Marke.
Der Wahlkampf war durchaus öffentlich: Voigt, der in seinem Heimatort Güdingen ein rechtsradikales Umfeld aufgebaut hat, lud die Bevölkerung zur „großen Saarfahrt“ ein. Die Rechtsradikalen tauchten auf den Dorffesten auf und nutzten die Montagsdemonstrationen in Saarbrücken zur Selbstdarstellung und zur Agitation. Und Voigt redete auch rechtsradikalen Klartext: „Würden die Vertreter der Altparteien ihre Aufgabe als Volksvertreter gewissenhaft wahrnehmen, würden sie das deutsche Volk fördern und nicht jeden dahergelaufenen Einwanderer. Dann würde es auch nicht mehr an allen Ecken und Enden an Geld mangeln.“
Die Hetze der Rechtsradikalen – und ihre konsequent ablehnende Haltung zu Harz IV – kam offenbar an: vor allem bei vielen jungen Arbeitslosen. Hochburg der NPD an der Saar ist Völklingen. Dort steht mit der längst stillgelegten Völklinger Hütte zwar ein Weltkulturerbe, aber auch ein Symbol für den Niedergang der Stahl- und Kohleindustrie an der Saar.
Der hohe Stimmenanteil der NPD resultiert natürlich auch aus der geringen Wahlbeteiligung. Die kam auch anderen kleinen Parteien zugute, die mit Rechtsradikalismus nichts zu tun haben. Spektakuläre 3 Prozent errang die bürgerliche „Familienpartei“ bei diesen Landtagswahlen. Die 1989 in Bayern gegründete Partei trat schon zu den Landtagswahlen 1999 an und kam damals auf etwas mehr als 1 Prozent. Die Partei fordert kostenlose Hort- und Grippenplätze für alle Kinder bis zur Einschulung und die Zahlung eines einkommensadäquaten steuer- und sozialversicherungspflichtigen Erziehungsgelds für Väter und Mütter.
Der Vorsitzende der Familienpartei an der Saar ist ein Kinderarzt, der Spitzenkandidat im Wahlkreis Saarbrücken auch ein Kinderarzt – und der in Neunkirchen ein Studiendirektor. „Gutbürgerlich“ also kommt die Familienpartei daher; und sie dürfte der Union von dem vor der Wahl prognostizierten Stimmenanteil von 51 Prozent doch wenigstens 2 Prozent allein „entführt“ haben. Schließlich kam die CDU am Ende „nur“ auf 47,5 Prozent.
Sogar Die Grauen staubten am Sonntag noch 1,4 Prozentpunkte ab – aus dem Stand. Und auch bei den Etablierten sind die kleinen Parteien die eigentlichen Gewinner. Selbst mit ihrer „Skandalnudel“ Hubert Ulrich (MdB) an der Spitze schafften die zuvor heillos zerstrittenen Grünen im Saarland mit einem Zuwachs von 2,4 Prozentpunkten noch den Sprung über die 5-Prozent-Hürde. Die FDP legte gar 2,6 Prozentpunkte zu.
Nichts zu feiern gab es für die ehemals große SPD. Nur den relativen Erfolg der roten Spitzenkandidatin bei den Oberbürgermeisterwahlen in Saarbrücken. Sie zwang den Unionskandidaten immerhin in die Stichwahl. Die „Parteien der Besserverdienenden“, so schimpften die Sozialdemokraten noch bis tief in die Nacht auf Grüne und Freie Demokraten, seien doch – wie NPD und PDS – auch nur Nutznießer von Harz IV gewesen. Denn deren Klientel werde von dem Reformvorhaben doch schlicht nicht tangiert, so die Analysen der frustrierten Genossen spät in der Nacht. Bei der Union sieht man das nicht so. Den Aufstieg der NPD jedenfalls lastete Ministerpräsident Peter Müller wegen der Kongruenz der Parolen Oskar Lafontaine mit an. „Weg mit Schröder!“ Die SPD erodiert dabei. Doch darin liegt auch ihre Chance. Als Splitterpartei wieder aufsteigen. Das ist der Trend der Zeit.