: Das Straßenbild
Die Reklamerezension. Heute: Ein klarer Phall
Irgendwo, halb zehn in Deutschland: Ein fast komplett nackter Mann steht an einer belebten Straßenkreuzung, lacht von seinem Werbeplakat runter auf uns arme kleine Sünderlein. Seine beiden gesunden Hände, lässig im Schoß gefaltet, halten eine solch riesige Flasche, ganz lang und länglich, dass einem sogar als einigermaßen heterosexuellem Mann ganz schummrig wird. Das Ding reicht ihm ja bis zur Brustwarze!
Kulturgeschichtlich gesehen ein klarer Fall. Die Menschheit hat einen weiteren großen Schritt getätigt hin zu einer humanen und zivilisierten Gesellschaftsform. Erinnern wir uns: Kaum hatte der Urzeitmann sein Urzeitweib in der Höhle zu Küche, Kindern und Kreidezeit verdonnert, jagte er wilden Tieren mit einem Speer nach. Der Speer war männlich, länglich, tödlich. Auch deren Nachfolgemodelle Pfeil, Schwert, Gewehr, Kanone, Atomrakete und Sportwagen können ähnliche Formen und Eigenschaften vorweisen. Schon Jahrtausende vor dem Erscheinen von Alice Schwarzer und ihrem bekanntesten Werk galt es, den kleinen Unterschied nicht ganz so klein und harmlos aussehen zu lassen.
Nun, in dieser schönen Reklame, ist das Objekt der Begierde randvoll gefüllt mit Pflegebalsam. Wie friedlich! Wie nützlich! Kurz mag man noch an die Werke der Carmen Thomas denken. Diese pries den in vielerlei Hinsicht therapeutischen Nutzen des sowohl äußerlich anzuwendenden wie auch oral einzunehmenden Mittelstrahlurins. Er hilft laut Thomas gegen Fußpilz wie Kopfschmerz. Aber die Leute vom Discounter wollen uns hier ja keine solchen Schweinereien, sondern nur ein hygienisches Hygieneprodukt offerieren. Und noch zu so einem Preis: 99 Cent. Das wird doch bestimmt eine Zweiliterflasche sein. Was muss ich da lesen? 250 ml? Mein böser Verdacht: Hat sich Papa Schlumpf rasiert, um diese plumpe und betrügerische Werbeaktion zu ermöglichen? LUTZ DEBUS