Tatorte in der ganzen Stadt

19 ehemalige Zwangsarbeiter kommen am Sonntag zu Besuch nach Köln. Doch weil die Stadt sparen muss, steht das seit 1989 laufende Programm auf der Kippe

Köln taz ■ Mit der blau-weißen Häftlingskleidung, einem angehefteten „P“ für Polen oder „Ost“ für „Ostarbeiter“ waren sie überall in der Stadt und für jeden erkennbar präsent: Rund 100.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge mussten zwischen 1939 bis 1945 in Köln Frondienste leisten.

Neunzehn Überlebende von damals kommen am 12. September aus Russland und der Ukraine zu Besuch. Seit 1989 laden das NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus und die Projektgruppe Messelager ehemalige Zwangsarbeiter ein. Bislang sind etwa 325 Gäste gekommen. Doch die 21. Gruppe, die man jetzt erwartet, könnte die letzte sein.

Denn weil die Stadt kein Geld hat, beschloss der Rat im letzten Jahr, das Programm nur noch bis 2004 zu finanzieren und so 105.000 Euro Kosten einzusparen. Dagegen fordert die Projektgruppe, das Programm fortzusetzen. Die Gruppe hat ein entsprechendes Schreiben an alle Fraktionen geschickt, erzählt Fritz Bilz, Mitglied der Projektgruppe und stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins des EL-DE-Hauses. Bislang hätten nur die Grünen geantwortet. „Sie sagen, es kommt auf den Wahlausgang an. Aber sie wollten sich dafür einsetzen, dass es mindestens noch ein Besuchsprogramm gibt.“ Das reicht nicht, findet Adrian Stellmacher, der als Mitglied der Projektgruppe bislang neun Überlebende bei ihrem Köln-Besuch begleitet hat. Aus „politischen und moralischen Gründen“ müsse es weitergehen. „Solange noch Menschen von damals leben, ist das Thema aktuell.“

Wo die Zwangsarbeiter in Köln leben und arbeiten mussten, hat Sabine Würich von der Projektgruppe recherchiert. Auf 200 Tatorte ist sie gekommen und hat sie für ihre Arbeit „Gedächtnis der Orte“ fotografiert. 100 der Bilder werden ab 30. September im EL-DE-Haus ausgestellt. Acht sollen vor Ort im Großformat aufgehängt werden und so die Vorbeigehenden zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einladen. Die erste „Enthüllung“ wird am 17. September im Beisein von Überlebenden und einer Schulklasse des Hansa-Gymnasiums stattfinden: vor dem Hansa-Hochhaus, in dem Zwangsarbeiter der Reichsbahn untergebracht waren. Allerdings auf dem Grünstreifen am Ring, nicht direkt an der Hausfassade. Das hat sich der Besitzer, die Koerffer Verwaltungsgesellschaft, verbeten. „So weit geht es dann wohl doch nicht mit der Verantwortung“, sagt Stellmacher.

Ähnliche Erfahrungen haben die Mitglieder der Projektgruppe mit vielen Kölner Firmen gemacht, die damals Zwangsarbeiter beschäftigten. Zwar könnten die Besucher meist ihre ehemaligen Arbeitsstätten besuchen und würden halbwegs „anständig“ empfangen, erzählt Karola Fings, stellvertretende Direktorin des NS-Dokumentationszentrums. Würden die Firmen aber auf Entschädigung angesprochen, käme es zu den peinlichsten Situationen. So bekamen ehemalige Zwangsarbeiter von Ford bei ihrem Besuch eine Anstecknadel überreicht – und ein Ford-Spielzeugauto. Susanne Gannott