: Unsere Gene, unser Schicksal
Die menschliche Doppelhelix ist schuld, wenn Handwerker ihren Schrecken verbreiten
So ein Gentest ist an und für sich eine feine Sache. Wer seinen Genotyp auswendig kennt, vermeidet zum Beispiel die Auslöser für Allergien. Und bei der Berufswahl lassen sich schicksalhafte Fehler ausschließen. Hätte man das Rumpelfüßler-Gen bei ihm rechtzeitig lokalisiert, wäre Jens Jeremies heute vielleicht Briefträger oder Glöckner, glücklich und zufrieden.
Oder das Papierstau-Gen: 11-ppst nennen es die Humangenetiker, weil es auf dem Chromosom Nummer 11 sitzt. Wenn ein Träger dieses Gens in die Nähe eines Kopierers kommt, gibt dieser sofort den Geist auf. Schon manch florierender Copyshop wurde durch eine studentische Hilfskraft mit dem Papierstau-Gen in den Ruin getrieben. Oder von einem Stammkunden mit dem gleichen Defekt. Der dann, nachdem er sein Werk der Vernichtung vollendet hat, weiterzieht zur Konkurrenz, ahnungslos, dass in seiner Doppelhelix das Verderben dräut.
Aber Gene sind nicht nur böse. Es gibt das Glückspilz-Gen, 18-glcp, das mit dem Winner-Gen nicht verwechselt werden darf. Leute mit 18-glcp gewinnen nicht im Sport, sondern im Lotto oder beim Preisausschreiben. Sie füllen einen Teilnahmeschein aus und am Tag nach der Auslosung steht der Fresskorb oder der neue Mazda vor der Tür. Eine Cousine zweiten Grades von mir besitzt das Glückspilz-Gen in der Variation „Bratpfanne“ (18-glcp-brpf). Sie gewinnt ständig, jedoch ausschließlich Bratpfannen, selbst wenn es keine zu gewinnen gibt. Sie materialisieren sich per Post in ihrer Küche.
Mit dem soliden Grundstock einer Pfannensammlung aus einem Jahr Preisausschreiben eröffnete sie dann ein Haushaltswarengeschäft, das sie sofort wieder verkaufte, als sie sich in einen Mann verliebte. Auch er besitzt das Glückspilz-Gen, allerdings in der Variation „Kreuzfahrt“ (18-glcp-krzf). Nach ihrer Hochzeit, bei der eine große Bratpfannentombola für alle Gäste den Höhepunkt bildete, zogen die beiden los und bereisen seitdem die sieben Meere. Manchmal bekomme ich ein Foto aus einem entlegenen Teil der Erde zugesandt, auf dem beide weiß gekleidet Arm in Arm an einer Reling stehen. Einmal hatte meine Cousine einen Wok im Arm. Gern hätte ich die Kinder aus dieser Verbindung erlebt, aber der Mann hatte sich sterilisieren lassen. Seine Tochter aus erster Ehe arbeitet in Las Vegas in einem Casino. Blackjack.
Ich selbst habe weder das Papierstau- noch das Glückspilz-Gen. Noch nie habe ich irgendetwas gewonnen in meinem Leben, nicht einmal einen Zahnstocher. Dafür, und ich bin stolz darauf, obwohl ich nichts dafür kann, habe ich das Gut-Freund-mit-Handwerkern-Gen (29-gfmh). Wenn Handwerker zu mir in die Wohnung kommen, wälzen sie sich nicht in einem Kubikmeter Klärschlamm, den sie extra für diesen Zweck aus einem Beutel ins Wohnzimmer gekippt haben. Sie begrüßen mich auch nicht mit dem Satz: „Du wollen Herd? Du küssen meine Füße, Abschaum!“ Handwerker sind pünktlich, sauber, schreiben nachvollziehbare Rechnungen, und was sie anfassen, funktioniert hinterher.
Neulich war der Elektriker da und montierte ein Niedrigvoltsystem, Schnüre mit kleinen Lämpchen. Als er gerade am Trafo herumfummelte, bekam er einen derartigen Schlag, dass er fast von der Leiter gefallen wäre und mir empört die kleine Brandwunde an seiner Hand zeigte. Er hatte vorher die Sicherung herausgeschraubt. Was weiß ich, warum trotzdem Strom drauf war. Der Elektriker sagt nach dem Zwischenfall nur leicht kokett und mit käsiger Nase: „Der Strom kennt mich eben.“
Er war wohl gegen Strom immun. Alles genetisch. Hätte der Strom meinem Freund Eddy eine gewischt, und hätte Eddy deswegen das Zeitliche gesegnet, wäre ich in echte Erklärungsnot seiner Freundin gegenüber geraten. Eddy und ich sind beide im Tauschring. So ein Tauschring ist an und für sich eine gute Sache. Man hilft sich, wo man kann. Eddy setzt die Wände meiner Wohnung unter Strom, dafür setze ich seine Küche unter Wasser. Ohne Geld. Ohne Klärschlamm im Wohnzimmer. Aber da ich 29-gfmh habe und Eddy nicht verlieren will, ist mir ein Handwerker doch lieber. Der Elektriker liebt die Gefahr, und seine Witwe ist versichert.
Heute morgen bekam ich ein Paket. Ich habe eine Bratpfanne gewonnen. Bei einem Preisausschreiben, an dem ich mich vor mehr als zwei Jahren beteiligt habe. Ich sollte sofort einen Gentest machen lassen. Morgen kommt der Heizungsmonteur. „Kann ein bisschen dreckig werden“, sagte er am Telefon. Womöglich gab es eine spontane Mutation bei mir. Und der Monteur weiß das längst. Vielleicht wurde 29-gfmh ersetzt durch 29-ahhm, das Alle-Handwerker-hassen-mich-Gen. Ob Eddy den Volkshochschulkurs „Kleine Reparaturen selbst gemacht“ schon bestanden hat? ROB ALEF