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Archiv-Artikel

Die Geräusche des Dagegenseins

Ärzte-Fans sind albern, amüsierfreudig, treu, zumindest theoretisch Weltverbesserer und sie wachsen nach. Dennoch geht der Schulbank-Spätpubertär-Pimmelwitz-Humor der Ärzte-Texte manchmal auf keine Kuhhaut. Porträt einer schwer sichtbaren Fangemeinde anlässlich des neuen Albums „Geräusch“

Ärzte-Fans sind zwar überall, aber sie fallen nicht auf. Sie sind die dazwischen

von JENNI ZYLKA

Als die Ärzte 19 waren, und ihre Fans süße 14, 1983 war das, gab es ein kurzes Porträt im Fernsehen, in dem die Ärzte, Farin, Bela und damals noch Bassist Sahni, sich von einem jungen Mädchen interviewen lassen. „Wieso heißt ihr überhaupt die Ärzte?“, fragte der Teenie. Und die Band flüstert ihm die Antwort vor: Weil die Ärzte jeder braucht.

Solche Dinge fallen einem wieder ein, 20 Jahre später, wenn man die Presseinfo zu der neuen Platte, dem Doppelalbum „Geräusch“, liest. „Natürlich bleibt alles besser“, steht da. „Denn die Ärzte sind die Ärzte sind die Ärzte.“ Eine Aussage von geradezu stonesesker Großspurigkeit. Die Ärzte rocken seit zwei Jahrzehnten das deutschsprachige Musikbusiness und hören wohl nur auf, wenn man einen der Hauptärzte erschießt. Allein: Wer braucht sie heute noch? Anscheinend immer noch jeder. Denn die erste Singleauskopplung der besten Band der Welt, der erfolgreichsten Band Berlins, heißt „Unrockbar“ und ist – erstmalig bei einem Ärztesong – von null auf eins in die Charts eingestiegen. Und man kann noch so viel vom Mp3-Musik-Klau, Niedergang der Schallplattenindustrie und den geänderten Verhältnissen unken: Das ist, verdammt noch mal, für jede verdammte Band der verdammte Jackpot.

Nicht dass die Ärzte es nötig hatten, jackpottechnisch. Wenn man seit 20 Jahren erfolgreich Musik macht, fast 20 Alben rausgebracht hat, seit fünf Jahren sogar auf einem eigenen Label operiert, könnte man sich natürlich längst zur Ruhe setzen. Den Hobbys nachgehen, sammeln, sich tätowieren lassen, reisen. Die Ärzte haben stattdessen ein Doppelalbum fabriziert – zu viele Ideen für eine Platte –, aufgeteilt in „das rote“ und „das schwarze“ Album, je 13 Songs, davon ungefähr die Hälfte Farin-Urlaub-Stücke, die andere Hälfte stammt von Bela B. und Rod Gonzales. „Unrockbar“, die chartsräumende Erfolgssingle, klingt so, wie Ärzte-Songs eben klingen: „Baby, ich kann dich gut leiden / es ist wirklich wahr / Doch das wird nie was mit uns beiden / eines ist mir klar: Du bist unrockbar …“ Softe Hardrock-Gitarrenriffs, melodiöser Gesang, schön langsam zum Mitgrölen, spitzzüngige Ärzte-Witze („Endlich fällt der Groschen / und du beginnst zu moshen“), fertig ist die Laube. Platz eins. Ganz ohne Fernseh-Superstar-MacherInnen. Der Rest des Albums ist die ärztetypische Mischung aus eingängigem Deutschpunkrock und gut gespieltem, hochproduziertem Spaß- und Hardrock, Ethno-Anleihen (wie in „System“), Balladen und Konzept-Songs („Pro-Zombie“ und „Anti-Zombie“).

Im nächsten Jahr geht die Band aus Berlin (aus BERLIN!) mit dem neuen Album auf große Fahrt, spielt sich durch Deutschlands größte Hallen und bleibt drei Tage in der Berliner Riesen-Open-Air-Bühne Wuhlheide, erfahrungsgemäß sollte man sich früh Tickets besorgen, sonst hat man eventuell Pech. Denn Ärzte-Fans sind treu. Sie wachsen mit, und, das ist der große Unterschied zu Fans anderer 20 Jahre alter Bands: sie wachsen nach. Die Ärzte, die immer Wert darauf gelegt haben, eher Fun- als Polit-Punker zu sein (und trotzdem stets eine ganz klar politisch linke Gesinnung postulierten), scheinen nicht eine spezielle Art von Menschen anzusprechen. Sondern die rockende Mehrheit. Es muss eine Schnittmenge unbekannter Größe zwischen den Millionen Ärzte-Fans und den anderen, intoleranten und konservativen Millionen Deutschen geben.

Ärzte-Fans sind bestimmt keine besseren Menschen. Aber immerhin: 1. Sie sind albern. 2. Sie sind amüsierfreudig. 3. Sie sind treu. Und 4. Sie sind, zumindest theoretisch, Weltverbesserer. („Weil jeder, der die Welt nicht ändern will, ihr Todesurteil unterschreibt“, aus: „Deine Schuld“, vom neuen Album, siehe auch: „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe / Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit“, aus: „Schrei nach Liebe“, immerhin schon zehn Jahre alt.) Und „Nazis haben keinen Zutritt“, stand vor ein paar Jahren klein gedruckt auf der Rückseite der Ärzte-Tickets, die so günstig zu erstehen waren, dass in Berlin schon mal Straßen abgesperrt werden mussten, weil die Fans sich vor dem Veranstaltungsort drängelten.

Natürlich sind linke Maulhelden noch lange keine Aktiven oder Aktivisten, und es ist leichter, begeistert „Wir sind auch dagegen!“ zu rufen, als dagegen zu arbeiten (die Band selber unterstützt allerdings seit Jahren NGOs und andere Projekte). Aber sie haben was, die Ärzte-Fans, sie kichern über sich selbst, nehmen den linken Parolen ihre aus heutiger Sicht manchmal unangenehm-didaktische Ernsthaftigkeit, ohne ihnen den Inhalt zu nehmen, und retten sie so hinüber in die moderne Welt der apolitischen Popmusik. Welche Band kann das noch? Die Toten Hosen jedenfalls nicht.

Die ja, das wird immer wieder gemunkelt, ohnehin die prototypischen Ärzte-Widersacher sind: Iiihhh, Möchtegern-Polit-Punker. Iiihhh, Düsseldorf. Ob die Streite zwischen Bela und Hosen-Frontmann Campino, deren medioker lustige Künstler-Kosenamen immerhin aus der gleichen Alberne-Bühnennamen-Tradition stammen, echt sind, ob man sich wirklich schon geprügelt hat, oder das nur eine von findigen Ärztefans in die Welt gesetzte Mär ist, weil es so gut ins Schema Beatles versus Stones, Sweet versus Slade, Oasis versus Blur und Christina versus Britney passt: Was die Hosen an Pathos zu viel haben, ist bei den Ärzten humorige Leichtigkeit und scharf gesetzter Sprachwitz.

Andererseits: Was die Ärzte an Schulbank-Spätpubertäts-Pimmelwitz-Humor zu viel haben, geht auf keine Kuhhaut. Denn das Niveau der Ärzte kann zuweilen auch nach unten ins Bodenlose gleiten: Problemlos stürmte „Männer sind Schweine“ vor fünf Jahren sämtliche Bumsbuden zwischen Berlin und Ibiza, gefolgt vom 2000er-Hit „Manchmal haben Frauen …“ („Manchmal, aber nur manchmal haben Frauen ein kleines bisschen Haue gern“), ein an pseudoprovokantem Anti-PC-Quatsch kaum zu überbietender Schunkelsong, mit einem billigem Ende, um es dann doch allen recht zu machen: „Immer, wirklich immer haben Typen wie du eins auf die Fresse verdient.“ Vielleicht ist das das Geheimnis der undefinierten Schnittmenge: Inmitten der linksorientierten Spaßelite mit „DÄ“-Buttons zwischen zwölf und 42 scheint es, zumindest seit 1993, eine große Gruppe unpolitischer Proletenschunkler zu geben. Das sind nicht unbedingt die, die in mit gefesselten Skelett-Damen bemalten T-Shirts auf dem Konzert die indizierten Ärzte-Texte („Geschwisterliebe“) mitsingen. Aber vielleicht die, die „Männer sind Schweine“ neben ihre „Die Doofen“-CD stellen, in die Plattenregal-Ecke „Partysongs“.

Dazu kommt die klare Struktur der Band, ob sie nun wahr ist oder nur wegen der besseren Konsumierbarkeit erdachte Mache: Es gibt eine Doppelspitze, Farin und Bela, der Blonde und der Dunkle, der Analytische und der Romantiker, der Virtuose und der Gefühlvolle, Kopf und Bauch. Und dazu (bis vor zehn Jahren jedenfalls) den wechselnden Dritten für die, die immer auf den Dritten stehen.

Dass die Ärzte-Texte deutsch, damit nicht nur mitsingbar, sondern auch noch verständlich sind, erinnert daran, woher sie kommen: Aus der Punk-und-NDW-Szene, in der Anfang der 80er jede Menge wunderschöne Blumen blühten, von denen nur wenige übrig blieben und noch weniger sich heute in die neue deutsche Schule einschmiegen, die seit ein paar Jahren selbstbewusst auch den größten und Gymnasiasten-verseuchtesten Mist unter ihrem Label veröffentlicht. Doch die Mia-Fans, die Wolfsheim-Schmachter und Wir-sind-Helden-Verehrer unterscheiden sich von der Ärzte-Fangemeinde. Erstens sind es weniger. Und zweitens sind sie trotzdem weitaus sichtbarer, weil sie in null Komma nichts zu Medienlieblingen avancierten.

Ein weiterer Aspekt der latenten, dennoch in der Öffentlichkeit relativ unsichtbaren Ärzte-Popularität ist nämlich die genaue Auswahl, die die Band bei ihren öffentlichen Auftritten trifft. Die Ärzte sitzen nicht in Talkshows, sie zieren keine Boulevard-Blätter, nach einem berechtigten Streit mit der abgehalfterten Teen-Postille Bravo vor ein paar Jahren tauchen sie dort auch nur noch sporadisch auf. Sie geben ihre Interviews fast ausschließliche den Musik-Medien, allerdings wird man sie in Charlotte Roches neuer Pro-7-Interviewreihe „Charlotte Roche trifft …“ sehen können, denn Mrs. Roches’ own, die Viva-Sendung „Fast Forward“, ist selbstverständlich über jeden Zweifel erhaben.

Und Ärzte-Fans sind zwar überall, aber sie fallen nicht auf. Sie sind nicht Avantgarde, sie waren nicht die Jetzt-Leserschaft, sie müssen noch nicht mal ausgesprochene Musikfans sein, sie sind weder hippes Hamburg noch hottes Berlin. Sie sind die dazwischen, die gut gelaunten Sweatshirt-und-Jeans-Träger, die Tätowierten, die nasengepiercten Mädchen vom Land, die alten, neuen Muttis und Vatis um die 40, die schon lange dabei sind. Ein vielleicht brutaler Vergleich, jedoch: Wolfgang-Petry-, Zillertaler-Schürzenjäger- und Kastelruther-Spatzen-Fans hat angeblich auch noch nie einer gesehen. Obwohl es für die grässlichen Spatzen jede Menge Goldene Schallplatten gab und einige von ihnen im gleichen Alter sind wie die Ärzte. Das muss man sich mal überlegen. Absolut unrockbar.