Der Napoleon von Paderborn

Rudolf Wansleben ist CDU-Landrat im Kreis Paderborn – und will es bleiben. Doch die eigene Partei hat den Provinzpolitiker fallen gelassen

Gelegentlich spricht Wansleben im Polizeifunk: „Hier ist Atlas, bitte melden“Dem heiligen Vater gab Wansleben 1996 beim Papstbesuch zweimal die Hand

AUS PADERBORNKATHARINA HEIMEIER

Die Kapelle spielt den Präsentiermarsch: Tamtatatamtamtaataa, tamtatatamtamtaataa. Im Kreis Paderborn marschieren die Schützenkönigspaare durch die Straßen und der Musikverein Upsprunge spielt auf für den Paderborner Landrat Rudolf Wansleben. Er ist Ehrengast beim 130-jährigen Jubiläum der Soldatenkameradschaft.

Der Wind bläst Wansleben stark ins Gesicht, dunkle Wolken jagen über den Himmel, ein passendes Bild. 1999 wurde er erster hauptamtlicher Landrat des Kreises Paderborn. Am 26. September tritt er bei der Kommunalwahl gegen seine eigene Partei, die CDU, an – so wie 1999 auch. Damals hat er die Stichwahl gewonnen.

Wansleben hält den Rücken kerzengerade, die Arme stramm an der Seite und marschiert zum Takt der Musik. Vorhin in der Kirche hat er vergessen, sich ein Gesangbuch zu nehmen. Das machte aber nicht viel. Die meisten Texte konnte er trotzdem laut mitsingen. Er hat auch bemerkt, dass die Soldatenkameraden, die in der Messe dienen mussten, nicht wussten, wann sie Wasser und Wein bringen sollten. „Das war wohl eine Premiere“, hat er hinterher zum Oberst gesagt und gelacht. Dabei hat er seinen Kopf weit in den Nacken geworfen. Die Musikkapelle, die so schön Tochter Zion gespielt hat, fand er gut. Beim Rausgehen hat er deshalb applaudiert, hat dabei die Hände so hoch gehalten wie eine Flamenco-Tänzerin. Als er gemerkt hat, dass sich die Musiker über den Applaus gewundert haben, hat er die Hände schnell wieder runtergenommen.

Auf dem obersten Treppenabsatz der Kirche haben die Kameraden ein Rednerpult aufgestellt. Sie haben es so weit heruntergeschraubt wie möglich. Einer der Soldatenkameraden hat sogar angeboten, er könne von zuhause seine Kettensäge holen. Denn Rudolf Wansleben ist nicht so groß und er soll eine Festansprache halten. Das sagt der Oberst. Ganz genau sagt er: „Ich bitte den noch amtierenden Landrat, die Festansprache zu halten.“ Da haben sich ein paar Kameraden am Fuß der Treppe angestoßen und gekichert, Wansleben drohte scherzhaft mit dem Finger und der Oberst schob schnell hinterher: „Ich persönlich hoffe natürlich, dass er noch weiter Landrat bleibt.“

Viele der Menschen im Kreis hoffen das nicht. Sie nennen Wansleben den kleinen Napoleon, weil er so klein und so schmal ist wie der Kaiser der Franzosen. Manchmal legt Landrat Wansleben die Hand so auf den Rücken wie man es von Bildern Napoleons kennt. Manche sagen ihm nach, die Ähnlichkeiten mit dem Franzosen seien nicht nur äußerlich: Mit Druck und Angst halte er seine Kreisverwaltung unter Kontrolle, wie ein kleiner Alleinherrscher eben. Alles wolle er wissen und überall mische er sich ein.

Anfang Dezember 2003 ist Wansleben mit 76 Stundenkilometern in seinem Dienstwagen durch die Paderborner Innenstadt gebraust und wurde geblitzt. 72,50 Euro sollte er als Bußgeld dafür bezahlen. Wansleben weigerte sich. Er verwies auf Sonderrechte, die er als oberster Chef der Paderborner Polizei habe. Er sei auf dem Weg zu einem Polizeieinsatz gewesen. Erst als die Staatsanwaltschaft zu ermitteln begann, lenkte er ein und zahlte das Bußgeld.

Zu spät, in den Augen seiner Partei. Die CDU hat ihn verstoßen. Nach der Tempoaffäre berief die Partei einen Sonderparteitag ein und wählte Wansleben, der schon als Landratskandidat nominiert war, mit 82,3 Prozent wieder ab. Stattdessen sprachen sie sich zu 94 Prozent für Manfred Müller als Kandidaten aus. Der verweist gerne auf das gute Klima in seinem Rathaus in Lichtenau und sagt, er wolle „nicht polarisieren, sondern koordinieren“.

Rudolf Wansleben kann die ganze Aufregung um das Knöllchen immer noch nicht verstehen. „Als ob die noch nie zu schnell gefahren sind. Da gibt`s immer noch ein paar, die heucheln.“ Seine Version von der Tempoaffäre geht anders: Natürlich hätte er das Geld sofort bezahlt, wenn er denn einen Bußgeldbescheid gehabt hätte, sagt er. Den aber hat er nach eigenen Angaben nicht gesehen.

Die Kameraden, die nach der Festansprache neben ihm sitzen, nehmen ihm seine Tempoaffäre offensichtlich nicht übel. Über ihren Köpfen hängen blaue Rauchwolken und am Kopfende steht eine Kiste mit Bier, Wasser, Cola und Fanta. „Herr Doktor, möchten Sie ein Bier?“ Wansleben ist Doktor Jura, schon mit 23 Jahren hat er promoviert. Ein Bier will er nicht, aber ein Wasser. „Gute Rede. Die passte“, lobt einer die Rede des Landrats. Der hat sich eben schon selbst gelobt: „Das ist immer schwierig, das entsprechend emotional rüberzubringen. Ich bilde mir ein, das geht schon ganz gut.“ Die Kameraden glauben, dass Wansleben auch bei ihrer nächsten Feier als Landrat wiederkommt. „Ich hab schon gewählt. Ich bin am 26. nämlich Kegeln“, sagt einer.

Nachdem er viele Hände geschüttelt hat, sitzt Wansleben in seinem Dienstwagen. Sein Fahrer glaubt an seinen Chef. „Der Wansleben gewinnt“, sagt er. Aber erst in der Stichwahl. Das sagen viele. Auch Wansleben selbst. „Es wird eine Stichwahl Müller – Wansleben geben“, sagt er. An den Autofenstern fliegen die Plakate seines Herausforderers vorbei. „Da ist kein Fingerabdruck von irgendeinem CDU-Mitglied drauf, hat alles eine Fremdfirma geklebt“, sagt Wansleben. Er selbst verschickt Rundbriefe an die Wähler und hat bis jetzt auf Plakate verzichtet.

In der Fußgängerzone von Bad Lippspringe steht trotzdem ein Wahlplakat – es ist fünf Jahre alt. Ein Bürger, der sich ärgerte, das Wansleben keine neuen Plakate von sich kleben lässt, hat eins vom letzten Mal genommen, und in die Heckscheibe eines roten NSU Prinz geklebt. Wansleben schlendert interessiert drumherum. Ein Tourist aus England bleibt stehen: Er könne doch mit dem Wagen herumfahren und über Lautsprecher sagen: „Please vote!“

Zum Mittagessen gibt es Erbsensuppe, Knackwürstchen und Apfelschorle. Wansleben zieht plötzlich seinen kleinen, schwarzen Pieper aus der Tasche und verkündet: „Verkehrsunfall mit einem Radfahrer.“ Gelegentlich spricht Landrat Wansleben auch selbst im Polizeifunk. „Hier ist Atlas 01/10, bitte melden“, sagt er dann mit seiner schnarrenden Stimme. Einmal antwortete ein Beamter im Spaß: „Kann ja jeder sagen.“ Da war Wansleben natürlich sauer und der Beamte bekam Ärger, erzählen sich die Menschen im Kreis Paderborn. Für Manfred Müller ist das ein Unding: Er würde sich „als ziviler Leiter der Polizeibehörde nicht in das laufende, operative Geschäft einmischen“, hat er gesagt.

Landrat Wansleben ist allzeit bereit und stets im Einsatz. Glaubt man Gerüchten, soll er in einem silbernen Alukoffer im Kofferraum einen grauen Kampfmittelschutzanzug aufbewahren und einen gelben Schutzhelm. Und zum Präsentieren soll er sich eine schicke grüne Polizeiuniform gewünscht haben, so mit allem drum und dran. Schließlich sei er als Landrat der zivile Chef der Polizei im ganzen Kreis. Und deshalb habe er sogar im Ministerium in Düsseldorf angerufen. Mehrmals. Ist nicht, hätten die gesagt.

“Schwachsinnsgeschichten“, sagt der Landrat dazu. Eine Polizeiuniform wolle er überhaupt nicht haben, und in seinem Kofferraum sei auch kein silberner Alukoffer mit Anzug und Helm, sondern nur ein spezieller blauer Parka. Es werde viel Unwahres über ihn erzählt, findet er, vor allem über die Tempoaffäre. „Das wird ja bewusst gemacht. Die CDU versucht diese Themen zu bedienen“, sagt er.

Trotz aller Kritik, mit der CDU hat Wansleben noch nicht gebrochen. „CDU-Mitglied seit 1974“, schreibt er stolz an seine Wähler. Tatsächlich ist in der Sälzerhalle in Salzkotten von Streit mit den Parteifreunden nichts zu spüren. Gerhard Wächter, der CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete ist gekommen, der Landratskandidat Manfred Müller auch, einige Bürgermeister aus dem Kreis. Man begrüßt sich höflich und sitzt bei Kaffee und Kuchen an den Tischen mit den blau-weiß karierten Papierdecken. Über Kommunalpolitisches wird nicht gesprochen. Der Kreisverband vom Bund der Vertriebenen hat zum Tag der Heimat eingeladen, zur Erinnerung an „jene, denen es versagt war, so wie wir in einem friedlichen Staat erwachsen werden zu dürfen“, wie der Schirmherr Wansleben es in seinem Grußwort formuliert. Gegenkandidat Müller klatscht am Ende von Wanslebens Rede.

Wenn es nach Wansleben geht, wird Müller das auch am 26. September wieder tun. Und Wansleben hofft dann auch auf Hilfe von ganz oben: Als der Papst 1996 in Paderborn war, reihte sich Wansleben gleich zwei Mal in die Schlange der Ehrengäste ein, um Papst Johannes Paul II. die Hand zu drücken.