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Archiv-Artikel

Fast die ganze Union ist jetzt für Studiengebühren

CDU-Chefin Angela Merkel nennt in ihrer Zukunftsrede Bildung als die erste von fünf Prioritäten – und vergisst zu sagen, was sie genau damit meint. Sie befürwortet das bezahlte Studium und wünscht sich etwas, was niemand garantieren kann: dass die Einnahmen bei den Hochschulen verbleiben

BERLIN taz ■ Fünf Punkte waren der großen Vorsitzenden wichtig, als sie vergangene Woche eine Grundsatzrede über die Zukunft Deutschlands hielt. An erster Stelle nannte Angela Merkel (CDU) Bildung – aber sie tat, als müsste sie sich dafür entschuldigen. „Meine Damen und Herren, so können wir mehr für Deutschland tun“, sagte Merkel, „erstens – und zwar tatsächlich erstens – brauchen wir ein klares Bekenntnis zu Bildung und Forschung.“

Merkels Rede war so etwas wie die Selbstinauguration der Partei- und Fraktionsvorsitzenden zur Kandidatin für Deutschland. Eine Art Regierungserklärung, ohne an der Regierung zu sein. Entsprechend war der Duktus Merkels, eine Neuinterpretation von Blut, Schweiß und Tränen – mit guter Bildung als Wohlfühlecke für eine rosige Zukunft. „Ein Kurs des Streichens, Kürzens, Sparens ist unverzichtbar. Unserem Land tatsächlich einen Gewinn bringen wird er aber erst dann, wenn wir mindestens gleichzeitig darüber sprechen, was die langfristig entscheidenden Voraussetzungen für Wohlstand und Wachstum ausmachen“ – die Reform der Bildungssysteme.

Wer denkt, in Kindergärten, Schulen und Hoschulen dürfe es wohlig-kuschelig zugehen, kennt Merkel nicht. Ihre Prioritäten für die Reform an Haupt und Gliedern: „Leistungsanforderungen vom ersten Schuljahr an, Fremdsprachen in der Grundschule, Abitur nach 12 Jahren, Hochschulen, die ihre Studenten selbst auswählen können statt Zuweisung durch die zentrale Zulassungsstelle. Darlehen, Stipendien einerseits und Studiengebühren andererseits, die allerdings an der Hochschule verbleiben.“

Wo Merkel damit hinwill, weiß sie sehr genau. Ähnlich wie Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) möchte sie unter die führenden Bildungsnationen Europas zurückkehren – am besten innerhalb von zehn Jahren auf Platz 1. Wo sie herkommt allerdings, wird sie im Detail noch Überzeugungsarbeit leisten müssen. Das gilt allerdings nicht mehr für Studiengebühren – der größten Überraschung ihrer bildungspolitischen Redeaspekte. Denn inzwischen sind fast alle in der Union für Studiengebühren.

Bereits wenige Tage vor Angela Merkel war die Bundestagsfraktion auf Gebührenkurs gegangen. Die bildungspolitische Sprecherin Katherina Reiche (CDU) – und auch die CSU-Vertreterin Marion Seib. Es sei an der Zeit, das Gebührenverbot im Hochschulrahmengesetz aufzuheben, sagten beide im Bundestag. Bislang galt die CSU als Gralshüterin der Gebührenfreiheit. Stoiber vertrat diese Linie im Wahlkampf 2002, Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) im bayerischen Kabinett. Alle anderen Unions-Wissenschaftsminister sind inzwischen für Uni-Gebühren.

Merkel hat der Gebührendebatte ihre Note hinzugefügt. Sie wünsche sich, dass die Gelder an den Hochschulen verbleiben. Das ist eine gute Idee, wenn man Gebühren denn will, aber sie ist so gut wie undurchführbar. Weil sich kein Landesfinanzminister vorschreiben lassen wird, wie er die neue studentische Einnahmequelle verwenden wird.

Viel mehr lässt sich über Merkels Bildungsidee nicht sagen, denn das Kapitel ihrer Rede widmet sich im Folgenden dem Aspirin des 21. Jahrhunderts und den umstrittenen Äußerungen des JU-Vorsitzenden Mißfelder zu Rente und Gesundheit. „Wir dürfen ihn nicht mundtot machen“, warnte Merkel.

Übrigens: Die anderen Punkte Merkels neben Bildung waren: Neujustierung der Sozialsysteme; Finanzbeziehungen und neues Vertrauen; Neuordnung der Arbeitswelt; klare Vorstellung vom Charakter unseres Gemeinwesens. CHRISTIAN FÜLLER