: Bannbrechende Bescheidenheit
Hinter jedem großen Namen steckt eine kluge Fotografin: Seit 1968 ist Barbara Klemm für die „FAZ“ unterwegs, und noch immer wirken die Menschen vor ihrer Kamera ganz bei sich. Eine Auswahl ihrer besten Porträts ist nun bei c/o Berlin zu sehen
VON HARALD FRICKE
Heinrich Böll, Nadine Gordimer, Andy Warhol: Hinter jedem großen Namen steckt eine kluge Fotografin. Seit 1968 ist Barbara Klemm im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit der Kamera für Reportagen und Porträts unterwegs. Alfred Hitchcock hat sie auf dem Bahnhof im Regiestuhl abgelichtet, als er seine wurstigen Finger zum Würgegriff ausstreckte; bei Günter Grass war sie an einem seiner wohl seltenen ausgelassenen Tage zugegen, als er auf einem Ball seine ausnehmend aparte kurzhaarige Begleitung über die dunkle Tanzfläche schob; und Jonathan Franzen sieht an einem frostigen Tag in Berlin schwer übernächtigt aus.
Nun ist Pressefotografie ein mühseliger Job, der viel zu selten mit einer Einzelausstellung wie der Klemm-Retrospektive bei c/o Berlin gewürdigt wird. Zu Unrecht, denn der Aufwand hinter jedem dieser glücklich im Bild gebannten Momente ist immens. Ständig eilt man im Pulk mit zig Kollegen von Termin zu Termin, steht stundenlang an, um am Ende vielleicht doch nur zehn Minuten gewährt zu bekommen, in denen mindestens ein Foto des jeweiligen berühmten Gegenübers gelingen muss. Bei Barbara Klemm klappt es offenbar immer: Ihre Aufnahme des aufbrausend mit dem Taktstock hantierenden Simon Rattle ist mittlerweile selbst schon zu einer Art Markenzeichen des Dirigenten geworden. Das ist in einer Zeit, in der unentwegt um mediale Aufmerksamkeit gebuhlt wird, eine nicht zu unterschätzende Leistung bei der Arbeit am Image.
Tatsächlich hat sich Barbara Klemm als Fotografin im täglichen Kampf um die Bilder schon früh durchgesetzt. „Ich habe mich immer ganz nach vorne durchgeschlängelt, um für meine Aufnahmen in eine besonders günstige Position zu kommen“, erklärt die eher zierliche Frau, die 1939 in Münster als Tochter des Künstlers Fritz Klemm geboren wurde, beim Gang durch die Berliner Ausstellung. Vor einem Foto von Janis Joplin erinnert sie sich an die Anfänge, als sie abends zu Konzerten geschickt wurde: „Damals habe ich gewartet, bis Janis Joplin nach dem eigentlichen Konzert noch einen kurzen Auftritt gab. Sie war da viel entspannter als vorher bei der Show, deshalb sind auch die Fotos ihrer Persönlichkeit viel näher gekommen.“
Heute würde sich Klemm allerdings nicht mehr auf den Rock-’n’-Roll-Zirkus einlassen, denn die rigiden Bedingungen und Zeitlimits lassen bei Live-Konzerten für die Fotografen überhaupt keinen Spielraum mehr zu. Stattdessen ahnt man bei ihren Aufnahmen von Mick Jagger, der sich verschwitzt ins Publikum bückt, oder dem lässig in der Hüfte eingeknickten Sammy Davis jr., wie viel Spaß es gemacht haben muss, wenn Klemm früher in der ersten Reihe stand.
Doch die FAZ ist nicht gerade für exzessive Pop-Berichterstattung bekannt. Entsprechend liegt der Fokus der Ausstellung denn auch bei Schriftsteller-Porträts: Verschlafen und etwas unwirsch blickt einem plötzlich Patricia Highsmith entgegen, Thomas Bernhard eilt ein wenig wirr im Raum umher, und von Peter Handke gibt es ein Siebzigerjahrebild aus seiner Wohnung, das den introvertierten Autor sockfuß auf seinem mit Hippie-Decken verhängten Diwan zeigt. Alle haben ihre Eigenheiten, aber alle haben auch etwas, das sie vor der Kamera eint: Stets wirken sie ganz bei sich, als wäre die Fotografin gar nicht anwesend.
Diese Qualität der Bilder hat Wilfried Wiegand in einem begleitenden Text zur Ausstellung beschrieben: „Barbara Klemms Umgang mit den Menschen ist das Gegenteil dessen, was man sich von einem Reporter vorstellt. Obwohl sie neugierig ist auf Bilder und mutig genug, sie sich zu holen, sind alle ihre Aufnahmen Dokumente von Bescheidenheit, Zurückhaltung und Dezenz.“ Wo andere Fotografen ihr Gegenüber möglichst nah heranzoomen, um eine Aura der Intimität herzustellen, oder mit dem Blitzlicht noch zusätzliche Konturen ins Gesicht schnitzen, strahlen die Arbeiten von Klemm eine ungewöhnliche Gleichmut aus. Sind halt auch bloß Menschen, selbst Wolf Biermann bleibt da ziemlich locker.
Andererseits passt die Unaufdringlichkeit meistens zum Charakter, den man sich von den Porträtierten ohnehin vorstellt. Hanns Magnus Enzensberger hält sich lächelnd auf Distanz, Werner Schroeter macht mit Ingrid Caven ein bisschen Action im Büroflur, wie es sich für einen exzentrischen Filmregisseur der Seventies gehört, und Rainer Werner Fassbinder weiß, dass er in Lederjacke, enger Jeans und mit abgetönter Pilotenbrille scheißcool aussieht. Nur einmal bekam Klemm beim Fotografieren Probleme: Als sie 1970 auf einer Lesung von Helene Weigel Fotos machte, wollte die Schauspielerin die Bilder auf jeden Fall vor der Veröffentlichung noch einmal vorgelegt bekommen. Allein, die Fotos wurden nie gedruckt, wie Klemm heute noch weiß: „Als Helene Weigel starb, brachte die Zeitung leider nicht mein Porträt, sondern eine Aufnahme ihrer Totenmaske.“
Dagegen entstand das Foto von Madonna rein zufällig. 1993 sollte Klemm mit einer Reporterin für einen Magazinbeitrag über die Pret-à-porter-Schauen nach Paris. Als die Moden-Schau von Versace begann, war Klemm noch gar nicht in dem genau abgegrenzten Bereich eingetroffen, der für die Pressevertreter vorgesehen ist. Trotzdem fiel ihr die blonde Frau schon von weitem auf, wie sie ganz vorne am Laufsteg saß und begierig auf die Models starrte. Danach war es nur eine Frage des richtigen Augenblicks, um Madonna auf dem Foto so zu zeigen, wie sie in ihren zahllosen Videos und Magazin-Shootings kaum noch sichtbar wird: als kleines Mädchen, das in einer Traumwelt aus Glitzer und Glam versinkt. In diesem Bannzauber der Fashion-Industrie könnte sogar Madonna ein Gesicht unter tausend anderen sein. Dass Klemm diesen Anflug natürlicher Scheu noch im Zentrum der Imageproduktion erkennt, macht ihre Reportagefotografien und Porträts herausragend.
Bis 17. Oktober, tägl. 11–19 Uhr, c/o Berlin, Linienstraße 144