Tödliches One-Hit-Wunder

Vor vierzig Jahren stand Soeur Sourire an der Spitze der Charts. Das fröhliche Fahrtenlied „Dominique“ brachte ihr Ruhm – und einen tragischen Tod. Am Freitag würde die singende Nonne aus Belgien siebzig Jahre. Zur Feier erscheint ihr Werk nun auf CD

von REINHARD KRAUSE

„Soeur Sourire ist tot – sie ist tot, es wurde Zeit. Ich sah ihre Seele auf einem fliegenden Teppich durch die Wolken fliegen.“ Mit fester, fast fröhlicher Stimme besingt eine einst weltberühmte Nonne ihren eigenen Tod und feiert mit diesem Lied zugleich Wiederauferstehung unter neuem Namen. Ihre Botschaft: Soeur Sourire ist tot, es lebe Luc Dominique. Es gibt schon viele sehr merkwürdige Schallplatten. Und Jeanine Deckers – alias Soeur Sourire alias Luc Dominique – hat einige von ihnen aufgenommen.

Die Kurzfassung der Lebensgeschichte der „lächelnden Nonne“ Soeur Sourire ist schnell erzählt: Eine junge belgische Zeichenlehrerin tritt 1959 in den Dominikanerorden ein und unterhält ihre Mitschwestern durch selbst geschriebene religiöse Lieder, die zunächst zu Missionszwecken auf Schallplatte erscheinen, sich dann aber völlig überraschend prächtig verkaufen lassen.

Das Lied mit dem Titel „Dominique“ wird 1963 sogar zum weltweiten Millionenhit. Die singende Nonne verdrängt selbst Elvis Presley von der Spitze der US-Charts. Vom Erfolg ermutigt, verlässt die Nonne das Kloster, nennt sich fortan Luc Dominique, hat mit diesem Namen als Sängerin jedoch keinen Erfolg mehr, gerät in einen fast unentwirrbaren Strudel von Steuerforderungen und nimmt sich Jahre später völlig verarmt gemeinsam mit ihrer Freundin das Leben.

Ein Leben in grellen und schließlich tragischen Schlagzeilen: erst die fromme Klosterfrau als strahlender Popstar – und später das Ende als „Lesbe mit dem Heiligenschein“ (Bild am Sonntag) mit in Cognac aufgelösten Schlaftabletten.

Doch zurück zum Anfang. Warum soll ausgerechnet die Seele einer Nonne nicht geradenwegs in den Himmel aufsteigen, sondern auf eine Flughilfe aus tausendundeiner Nacht angewiesen sein? Der Verdacht könnte aufkommen, dass die singende Nonne ein wenig überspannt ist. Doch Jeanine Deckers hat nicht nur ein Studium der Religionswissenschaften absolviert – sie verfügt auch über einen eigenwilligen Humor, der nicht immer erkennen lässt, ob er naiv ist oder sich nur so gibt. Einem Reporter erzählt sie, im Orden gehe es keineswegs nur streng zu. Sie etwa sei geradezu berüchtigt dafür, dass sie schon einmal Heiligenbilder auf den Kopf stelle: „Das ist mehr als heiter.“

Es ist die Zeit der kirchlichen Öffnung. Das Zweite Vatikanische Konzil, 1962 von Papst Johannes XXIII. ins Leben gerufen, leitet eine Modernisierung der katholischen Liturgie ein, bewirkt eine Stärkung der Laienschaft und fördert den Gedanken der Ökumene. Zugleich ist es die Zeit der frommen Schlager: In Deutschland etwa spielen die Radiostationen in ihren Frühprogrammen gern das poppig-klerikale „Danke für diesen guten Morgen“, in Frankreich startet Jesuitenpater Père Duval eine erfolgreiche Plattenkarriere.

Im Repertoire von Soeur Sourire finden sich etliche Balladen, für die sich mancher ihrer weltlichen Kollegen vermutlich die kleinen Zehen hätte amputieren lassen. Da der unmittelbare Austausch unter den Nonnen im Dominikanerorden unerwünscht ist – einer der Hauptgründe für Soeur Sourire, den Konvent zu verlassen –, übernehmen viele der Lieder die Funktion, Zuspruch und Trost zu spenden oder den Klosteralltag zu begleiten. Das öffentliche Bild von der singenden Nonne prägen jedoch ihre wenigen, an Fahrtenlieder erinnernden Schlager wie „Dominique“, die – so zumindest will es die Legende – vor den Ohren der Mutter Oberin keine rechte Gnade finden, weil in ihnen vieles „zu kavaliersmäßig und oberflächlich“ aufgefasst sei.

Das Pseudonym Soeur Sourire ist nicht etwa der klösterliche Spitzname der Novizin, sondern das Ergebnis marktwirtschaftlicher Feldstudien seitens der Plattenfirma: Eine Versuchsgruppe französischer Jugendlicher hatte auf ihn in Testreihen am positivsten angesprochen. Der Erfolg von „Dominique“ bricht 1963 völlig überraschend über Soeur Sourire und das Kloster Fichermont bei Waterloo herein. Gleichwohl wurden Vorkehrungen getroffen, um die Abgeschiedenheit des Klosterlebens nicht zu gefährden. In den Plattenvertrag ließ der Orden die Bestimmung aufnehmen, dass der Ordensname der Novizin nicht genannt und ihr Foto nicht gezeigt werden dürfe – was das mediale Interesse an der Sängerin jedoch nur noch befeuert.

Auf dem Höhepunkt der Soeur-Sourire-Manie fliegt sogar US-Talklegende Ed Sullivan mit seiner Crew ein und sendet live aus Fichermont. Nur folgerichtig meldet sich schließlich auch noch Hollywood mit mehreren Treatments der Sourire-Story, aus denen die Mutter Oberin und ihr Schützling dasjenige auswählen dürfen, das ihnen am wenigsten missfällt.

Der Film „The Singing Nun“ stellt ganz auf das modische Klischee der Motorroller fahrenden, modernen Nonne ab. Zwar gibt Debbie Reynolds als Schwester Anna ein Dutzend amerikanisierter Soeur-Sourire-Songs zum Besten, als Seelsorgerin aber ist die singende Filmnonne eine wahre Katastrophe. Gipfel- und Wendepunkt des Films ist eine Szene, in der ein kleiner Junge der Obhut der singenden Nonne entwischt und prompt unter die Räder eines Autos gerät. Zerknirscht muss Schwester Anna erkennen, dass die eitle Sangeskunst ihrer wahren Berufung nur im Wege steht – nämlich der Missionsarbeit, zu der sie bislang so überaus wenig Talent gezeigt hat.

Also entsagt sie der Musik, verschenkt ihre geliebte Gitarre an die übellaunige große Schwester des angefahrenen Kindes und befindet sich nach dem nächsten Schnitt bereits in Afrika, wo noch die letzte Demütigung des Drehbuchautors auf sie wartet: Während Schwester Anna, von dem Gedanken an eine Gesangskarriere kuriert, endlich Reihenimpfungen an heidnischen Negerkindern vornimmt, lauschen die Eingeborenen leuchtenden Auges den Klängen der „Missa Luba“, Soeur Sourires innerkirchlicher Hitparadenkonkurrenz aus den frühen Sechzigerjahren.

Doch Jeanine Deckers ist nicht Schwester Anna. 1966 verlässt sie das Kloster, um fortan als eine der ersten Laienschwestern geweiht unter den Menschen zu leben – und einen neuen Plattenvertrag zu unterzeichnen. Hierzu allerdings benötigt sie ein neues Pseudonym. Dem Wunsch nach Entlassung nämlich hat die Ordensvorsteherin nur unter zwei Bedingungen zugestimmt: Das Kloster darf in Zukunft nicht mehr mit den Platten der singenden Nonne in Zusammenhang gebracht werden. Und sie darf ihren weltberühmten Namen nicht länger benutzen. Aus „Soeur Sourire, Missionsschwester des Dominikanerklosters Fichermont bei Waterloo“ wird „Luc Dominique, Dominikanerin“. Dass sie mit dieser Klausel vom eingeführten Markenartikel zum Nobody wird, geht ihr erst Jahre später auf.

Das Totenlied auf Soeur Sourire ist eines der ersten Lieder unter neuem Namen. Es sei an der Zeit, singt sie hier, sich vom schemenhaften Bild einer Nonne zu verabschieden, die man stets nur von hinten gesehen habe. Reiner Spott auf die Verklärungstendenzen der Medien spricht aus der Mär vom fliegenden Teppich, mit der sie sich über „die Herren Journalisten und Plattenhändler“ lustig macht, die „bestimmt wieder alles falsch verstehen und schimpfen werden. Aber der heilige Dominikus mag ihnen die Gerüchte vergeben, die sie jetzt wieder in Umlauf bringen werden.“

Tatsächlich lassen sich diverse Boulevardblätter die Gelegenheit nicht entgehen, das Klischee von der poppigen Ordensfrau durch das der abtrünnigen Nonne zu ersetzen, die von Geldgier und der Liebe zu einem Mann getrieben ist. Die Liebe zu einer Frau träfe es viel besser, aber diese Möglichkeit ist Mitte der Sechzigerjahre offenbar noch völlig undenkbar. Ob die Liebesbeziehung zwischen Soeur Sourire und ihrer Lebensgefährtin Annie Pécher tatsächlich eine homosexuelle ist, darüber kann nicht einmal Florence Delaporte eindeutige Auskunft geben, die für ihre 1996 erschienene Biografie „Soeur Sourire. Brulée aux feux de la rampe“ (Plon, 246 Seiten) tausende Seiten Tagebuchnotizen der Exnonne auswertete. Sicher aber ist, dass der Ruch, lesbisch zu sein, beide Frauen mehr als einmal die Stelle kosten sollte.

Dass Soeur Sourire als Laienschwester Luc Dominique in Tweedrock und eleganten Pumps an medienträchtiger Exotik verloren hat, ist auch ihr als Handicap für die Promotion ihrer neuen Platten bewusst. Die Frauenzeitschrift Constanze zitiert sie 1967: „Ich fühle mich schrecklich unter Druck. Man investiert so viel Geld in mich. Was aber, wenn ich scheitere?“ Und tatsächlich, die Moden haben sich geändert, christliche Lieder sind längst ein alter Hut. Die Luc-Dominique-Platten floppen. Als religieuse yé-yé, als „Twistnonne“ Soeur Sourire, umwehte Jeanine Deckers ein Hauch kirchlichen Aufbruchs. Als Luc Dominique läuft sie Gefahr, als Schlagersängerin mit moralisch-christlicher Sendung durchzugehen.

Da hilft es wenig, dass sie sich ein betont progressives, gelegentlich provokantes Repertoire erarbeitet und Themen aufgreift, die sonst in der Populärmusik nicht einmal gestreift werden. Mit „La Pilule d’or“ etwa schreibt sie ein Loblied auf die just erfundene Antibabypille – im trendigen Mariachisound! Auch ihr Gottesverständnis ist in den fortschrittsgläubigen Sechzigern denkbar weit gefasst. In „Bain de soleil“, einer Ballade mit elegisch schreitendem Rhythmus, erkennt sie Gottes Allgegenwart nicht nur in der wärmenden Kraft der Sonnenstrahlen, sondern gar in der Evolution – und in der Radioaktivität.

Gehört haben diese neuen Lieder damals wohl nur wenige. Die Marketingaktivitäten für das einstige Zugpferd des niederländischen Hifimultis Philips erlahmen mit den sinkenden Verkaufszahlen. Es ist umso verdienstvoller, dass das auf Chansonreeditionen spezialisierte deutsche Label „Choice of Music“ die kaum zu findenden Titel von Luc Dominique sowie das Frühwerk von Soeur Sourire heute erstmals auf einer Doppel-CD veröffentlicht. Schade allerdings, dass die Chronologie aufgegeben wurde und die Titel nicht datiert worden sind.

Angesichts einbrechender Umsätze und ohne jede Absicherung seitens des Klosters entwickelt die singende Exnonne manisch-depressive Züge und begibt sich auf eine jahrelange Psychotherapie. Ihrer ausgeprägten Schüchternheit wegen dem Schulunterricht nicht gewachsen, lebt Soeur Sourire, wie sie sich – unerlaubterweise – inzwischen wieder nennt, von Einzelunterricht sowie sporadischen Auftritten und Tantiemen. Ihre Lebensgefährtin Annie Pécher gründet unterdessen ein Heim für autistische Kinder, das vielversprechend und therapeutisch sehr erfolgreich startet.

Eine Katastrophe bricht schließlich im März 1974 über die beiden Frauen herein: Soeur Sourire soll den Finanzbehörden für mehrere Jahre Steuern schuldig geblieben sein. Obwohl ihr Plattenvertrag vom 24. Oktober 1961 – dem Tag, an dem sie „Dominique“ aufnahm – ihr lediglich drei Prozent auf neunzig Prozent des belgischen Großhandelspreises (sowie lächerliche anderthalb Prozent für Auslandsverkäufe) einräumte, handelt es sich samt Zinsen und Zinseszinsen um eine Millionensumme. Ein Betrag, der in keinem Verhältnis steht zu den tatsächlichen Überweisungen, die die Sängerin von ihrem Finanzberater erhalten hat.

Es erweist sich als Kardinalfehler, dass die singende Nonne ihre Finanzgeschäfte, als sie das Kloster verließ und ihr Armutsgelübde aufgehoben wurde, weiter treuhänderisch über die kirchlichen Berater abwickeln ließ. Nun sieht sich die nicht im Mindesten merkantile Konditorentochter Jeanine Deckers vor der Schwierigkeit, eigentlich Klage führen zu müssen gegen Vertreter ihres ehemaligen Ordens – ein Schritt, vor dem sie bis zuletzt zurückschrecken wird, weil sie selbst durch die unerlaubte Wiederaneignung ihres Künstlernamens vertragsbrüchig geworden ist. Stattdessen klagt sie gegen die Finanzbehörde – und unterliegt.

Immer wieder einmal erzielt Soeur Sourire in den Folgejahren Einzelerfolge, erwirkt Zahlungsaufschübe und gewinnt einflussreiche Fürsprecher.

Jahre später, als sich die Lage dramatisch zugespitzt hat, gelingt es einem Freund, ein Abendessen zu organisieren, an dem neben Soeur Sourire auch Finanziers und Ministerialbeamte teilnehmen, doch die ehemalige Nonne findet nicht den Mut, ihre verzweifelte Lage vor dieser Runde anzusprechen.

Der Exstar flüchtet sich zunehmend in Alkohol und Schlaftabletten. Trotzdem entstehen bis in die Achziger hinein regelmäßig Schallplattenaufnahmen. 1982 erscheint ein Synthipopremake von „Dominique“. Ein neuer Flop. Das Video hierzu (ebenfalls auf der Doppel-CD) zeigt die „lächelnde Nonne“, wie sie zu den bewährten Klängen ihres Welterfolgs todernst durch eine Kirchenruine schreitet. Ein emblematisches Bild: Soeur Sourire, an der katholischen Kirche gescheitert im Moment ihrer kurzzeitigen Öffnung, durchmisst die Ödnis einer zerfallenen Kirche.

Am Ende muss Annie Pécher ihr Heim schließen, Soeur Sourire versucht sich als Sekretärin und einmal sogar als Vertreterin für eine Schönheitscreme, eine der eher heiteren Episoden. Im März 1985 ist kein Geld mehr zum Weiterleben da. Die Schlaftabletten für den Doppelselbstmord erhalten die beiden Frauen in ihrer Apotheke, ohne Rezept und auf Kredit: hundert Depronal und fünfzig Témesta.

Am 1. April 1985 werden beide tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Soeur Sourire wurde 51 Jahre alt, Annie Pécher 41. Ihre persönlichen Hinterlassenschaften wurden von den Steuerbehörden noch jahrelang unter Verschluss gehalten. Zumindest ihr letzter Wunsch, in einem gemeinsamen Grab beigesetzt zu werden, wurde ihnen von der Kirche erfüllt.

Im Nachlass fand sich ein später in den Archiven des Figaro Magazine verloren gegangenes Video mit zehn unveröffentlichten Liedern. In einem davon war wieder vom Tod der Soeur Sourire die Rede, doch die spielerische Note früherer Jahre war verflogen: „Ihr werdet bald von Soeur Sourire hören, dass sie starb, erschlagen von Steuerbescheiden. Die Leute werden aufatmen und sagen: Sie ist endlich tot. Gott sei Dank.“

REINHARD KRAUSE, 42, ist taz.mag-Redakteur