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Archiv-Artikel

Flashes auf die Stadt, die Kulturhauptstadt werden will

„Baustelle Bewerbung“ ist der Titel eines ersten Diskussionspapieres zum Bremer „Projekt Kulturhauptstadt 2010“. Wir dokumentieren aus dem 2. Kapitel – „Flashes“ – des 32-Seiten starken Textes von Martin Heller und seinem Team

Die Abwesenheit des Maritimen

Wer erstmals in die Freie Hansestadt Bremen kommt, erwartet mit etwelcher Wahrscheinlichkeit ein maritim geprägtes Ambiente. Diese Erwartung wird heute zwangsläufig enttäuscht. Die Betriebsamkeit der Häfen hält sich in Grenzen, zwei große Werften haben vor wenigen Jahren unter dramatischen Umständen geschlossen, die Überseestadt ist eine Industriebrache und die Weser ein stiller, allenfalls von Freizeitverkehr belebter Fluss. Wirklich spürbar ist das Meer erst in Bremerhaven, und auch dort haben massive wirtschaftliche Veränderungen deutliche Spuren hinterlassen. Im Grunde, so das Fazit, ist Bremen das Meer abhanden gekommen, und die Stadt hat erst zaghaft damit begonnen, diesen Verlust zu verarbeiten.

Denn die wirtschaftlichen Konsequenzen sind, so hart sie Bremen auch getroffen haben, nur das eine. Der Verlust des Meeres bringt auch starke kulturelle Wirkungen mit sich. Selbst- und Fremdbilder sind in Bewegung geraten. Neue Identitäten müssen ersetzen, was verschwunden ist. Die bloße Einleitung struktureller Veränderungen genügt dafür nicht - Bremen braucht neue Bilder.

Wie ist, zum Beispiel, visuell zu fassen und zu vermitteln, dass sich die Stadt ihrem Fluss auf neue Weise anzunähern sucht? Woran wird - symbolisch und real - der aufstrebende Technologie- und Wissenschaftsstandort Bremen kenntlich und sichtbar? Und wie wird das kulturelle Trauma bearbeitet, das sich hinter dem zugeschütteten Hafenbecken versteckt?

Neue Bilder: Das sagt sich so leicht. Bilder dieser Art entstehen keineswegs von alleine. Was von alleine entsteht, sind bestenfalls Überbrückungen, Notlösungen, Platzhalter oder touristische Billigangebote. Nichts, was der Faszination des verschwundenen Maritimen buchstäblich das Wasser reichen könnte.

Also muss es darum gehen, in tragfähigere Bilder dessen zu investieren, was das aktuelle und das zukünftige Bremen ausmacht. Kultur und die Kulturhauptstadtbewerbung haben dafür zu sorgen, dass dieser Prozess so rasch als möglich anläuft. Denn wir wissen: Nichts ist zäher zu ändern als Images und Mentalitäten.

Bremer Bescheidenheit

Es gibt in Bremen eine nachweisbar große Zufriedenheit mit dem, was ist. Die hohe Lebensqualität sowohl in der Stadt selbst als auch im Umland ist ein kostbares Gut. Zugleich begegnet man aber der immer wiederkehrenden, teils selbstironisch gefärbten Metapher vom Bremer Tellerrand, der mit dem mentalen Horizont zusammenfalle. Auffallend ist, dass Bremens Qualitäten und Stärken - entgegen der einstigen Werbekampagne der Bremer Straßenbahn „Bremer kommen immer gut an? – im nationalen und internationalen Mediengeschehen zu wenig bekannt sind. (...)

Das gallische Dorf der 68er

Oben im Norden leistet ein kleines germanisches Dorf Widerstand. Ohne Auftrag, aus eigenem Antrieb, mit pointierter Besetzung, die Geschichte im Rücken und den Kanzlerbrief vor Augen. Seine Palisaden sind schwach, seine Rituale gefestigt, und sein Zaubertrank besteht aus heißem Wasser. Eigentlich ist dieses Dorf ein Land, eine Insel überdies; die Alten, die in ihm das Sagen haben, hüten nichts weniger als den Schlüssel zum Paradies. Ob es das Paradies aber wirklich gibt, wissen sie nicht...

Das aktuelle Bremen wäre ohne die 68er-Bewegung nicht denkbar. Bis heute gehört seine Lehrer- und Hochschullehrerschaft (und auch die Kultur-Kapitäne, und auch die Politiker) vergleichsweise altershomogen zu dieser Generation.

Das Bremer Gemeinwesen ist in auffallendem Maße politisiert, als Polis im nobelsten Sinne, und seine lustvolle Bereitschaft zur Diskussion verrät einiges von den Gepflogenheiten, Idealen und Utopien der Republikanischen Klubs von damals. Wo gibt es eine bundesdeutsche Stadt, in der sich das Rathaus Jahr für Jahr öffnet für nächtliche Dialoge mit den Religionen, mit anderen Kulturen, mit der Jugend und mit den Senioren?

Bremens Wirtschaft will Kultur

Kultur ist mittlerweile ein für Politik und Wirtschaft gleichermaßen interessanter Standortfaktor; mit Kultur lässt sich Geld verdienen, Prestige gewinnen, Imagepflege betreiben. Umgekehrt hat die Kultur erfahren müssen, dass ihre Finanzierung angesichts darbender öffentlicher Haushalte auf vergleichsweise schwachen Füßen steht. Bereits das alltägliche Niveau des Kulturangebots auch in Bremen ist ohne Public Private Partnership nicht zu haben und die Kulturhauptstadt schon gar nicht.

Überdies sitzen die VertreterInnen der Kulturszene und der Handelskammer längst am selben Tisch. Und dass seit den letzten Wahlen im Rahmen der großen Koalition die Ressorts von Wirtschaft und Kultur bei demselben Senator angesiedelt sind, erscheint vor diesem Hintergrund nur konsequent. Die Ausgangslage für den Bewerbungsprozess jedenfalls ist damit fast schon ideal. Wer die kulturelle Stärkung Bremens betreibt, hilft auch dem Wirtschaftsstandort. (...)

Wissenschaft als Magnet, der Wirkung zeigt

Die Profilierung Bremens als „City of Science“ trägt Früchte: Um die Universität und ihre Spitzenforschung herum siedeln sich Wissenschaftseinrichtungen und Technologiefirmen an, Bremen gerät als Standort für große Tagungen und Kongresse ins internationale Blickfeld, das Universum Science Center ist ein Publikumsmagnet weit über Bremen hinaus. In einer im Frühjahr 2003 erschienenen Studie „Les Villes Européennes“ des renommierten Pariser Instituts DATAR rangiert der Forschungsstandort Bremen in einer Gruppe mit Toulouse, Grenoble, Karlsruhe und Florenz.

Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Vorausgegangen ist eine intensive Aufbauarbeit. Bremens Hochschullandschaft hat ihr einstiges Image gründlich hinter sich gelassen. Nach einschneidenden Umsteuerungsprozessen zählt die Universität Bremen heute zu den herausragenden Hochschulen in Deutschland, die Fachhochschulen des Bundeslandes haben sich stark profiliert und zahlreiche innovative Studiengänge entwickelt. Und die Hochschule für Künste mit ihren renommierten Studiengängen verortet sich neu – im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinne. On Top schließlich geht die Stadt mit der International University Bremen (IUB) einen viel beachteten neuen Weg.

Es ist, als ob es gelungen wäre, diese Wissenschaftsszene magnetisch aufzuladen. Jedenfalls: Erfolg zieht Erfolg an. Und davon lässt sich auch für die Kulturhauptstadt profitieren: Ein offener Dialog zwischen Wissenschaft, Kunst und Kultur wird die Stadt langfristig prägen und neue Allianzen und Partnerschaften hervorbringen.

Die andere Seite: Bremerhaven

Bremen und Bremerhaven sind Schwestern. So will es die offizielle Terminologie; und sie unterstreicht damit ein Verwandtschaftsverhältnis, dessen mögliche Komplikationen in nahezu jeder Familiengeschichte nachweisbar sind. Schwestern lieben sich, streiten sich, beneiden sich, halten zusammen und stoßen sich ab. Wie Bremen und Bremerhaven.

Wenn sich nun Bremen als Kulturhauptstadt bewirbt und Bremerhaven zur Teilhabe einlädt, so bricht erst einmal Misstrauen auf. Kolonialistische Muster bestimmen die gegenseitige Wahrnehmung und verstellen den Blick auf das, was sich kulturell ergänzen und bereichern sollte.

Dabei geht es nicht so sehr um Themen, Inhalte und Projekte. Das Meer, die Auswanderung, die Polarforschung, selbst das bundeseigene, erneuerungsbedürftige Deutsche Schifffahrtsmuseum – sie gehören Bremerhaven. Der erste Schritt zu einem solchen Auftritt ist bereits getan: Bremerhaven wird innerhalb des Kulturhauptstadt-Teams eine eigene und eigenständige Position besetzen. Vielleicht ist es einmal mehr die Kultur, die in die Wege leitet, was sozialen und ökonomischen Interessen versagt bleibt.

Bremen als Modellfall

Bremen ist eigentlich keine Stadt. Dazu fehlen, unter anderem, das Chaos, der Lärm, die Getriebenheit, die Unübersichtlichkeit. Aber Bremen ist auch kein Dorf, nicht einmal - was viele behaupten - ein Gefüge von Dörfern, die heute als Stadtquartiere durchgehen. Dafür ist Bremen zu welthaltig, zu vielfältig, zu groß, zu quirlig. Was aber ist Bremen? Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Und Bremen ist Bremen ist Bremen.

Vielleicht lohnt sich vor dem Hintergrund solcher Ungreifbarkeit der Versuch, Bremen als Modell zu beschreiben. Als Modell einer Gemeinde und eines Gemeinwesens, das die richtige, die passende Größe hat, um einsehbar zu bleiben. Was hier geschieht, lässt sich in aller Regel öffentlich beobachten und nachvollziehen. Bremen ist ein Schauplatz im theatralischen Sinne, der mit erstaunlich wenig Kulissen auskommt. Die meisten der Akteure kennen sich und sind sich auf mannigfache Weise verbunden. Deshalb findet selbst das, was hinter den Kulissen gespielt wird, vergleichsweise rasch zurück an die Sichtbarkeit.

Das Bremer Publikum wiederum ist kein klassisches Publikum. Es spielt mit, in dem es sich mit dem Schauplatz von vornherein familiarisiert. Das bedeutet, dass die Zahl der mitwirkenden Handelnden im Modell Bremen grundsätzlich hoch ist, dass sie je nach Bedarf rasch gesteigert werden kann, und dass zwischen Bühne und Bühnenraum eine Vielzahl fließender Übergänge bestehen. Bremen ist ein Ort, an dem Öffentlichkeit ein Stück einzigartige, umfassende Lebensqualität konstituiert (...).