: Weicher Wohnen
Nun hat auch der Größenwahn in der Architektur ein Ende: Weil die Lebenswelten immer härter werden, flüchtet sie sich in weiche, kleine Behausungen. Visionen von der Architektur-Biennale
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Willkommen im Zirkus
Die Konjunktur ist am Boden, die Architekten sind es auch. Nur dass die Stars der Szene und ihre Epigonen es nicht zeigen, schon gar nicht in Venedig bei der diesjährigen Architektur-Biennale. Zum Beispiel Peter Eisenman, Erbauer des Holocaust-Mahnmals in Berlin und Gewinner des diesjährigen Goldenen Löwen für sein architektonisches Lebenswerk. Da hatten sich die Pianos, Libeskinds und Hadids zur Eröffnung der „9. Internazionale Biennale di Architettura“ auf dem alten Arsenale-Gelände am Wochenende versammelt, um Eisenman zu gratulieren.
Und der New Yorker, immer für einen Scherz gut – siehe Zahngold und Degussa –, gab ganz den Big Boss der Architektur, so als herrschten noch die goldenen Zeiten des baulichen Heroismus. Mit dem Löwen unter dem Arm bestieg Eisenman nach der Preisverleihung vor der versammelten Bauwelt ein Wassertaxi, stellte sich an den Bug und hob grüßend die Hand. Regierungschefs, insbesondere solche diktatorischer Staaten, pflegen solche herrischen Gesten. Aber auch Revolutionäre – was ja Stararchitekten eigentlich sind. Daran sollte Eisenmans Abgang wohl erinnern. Wie Washington bei der Überquerung des Potomac oder Beuys bei der Überquerung des Rheins sah das aus. Der Superstar grüßte seinesgleichen und jenen Teil der „Mostra“, in der – ganz anachronistisch – noch immer der großen Entwürfe, fliegenden Städte und baulichen Visionen gedacht wird.
Raus aus der Zeche
Nicht nur die bauliche Realität, sondern auch eine Vielzahl junger Architekten hat sich in Venedig vom Architektur-Zirkus des Großen und der Stars verabschiedet. Das Motto der diesjährigen Biennale „Metamorph“ kam ihnen dabei entgegen. Beabsichtigt ist mit der Themensetzung des Schweizer Bauhistorikers und Kurators Kurt W. Forster nichts weniger als die Debatte um die architektonische Zeitenwende. Der Wandel der Städte, deren Schrumpfung, ihre leeren Räume und ihre Mutation stehen auf der baulichen Agenda der nächsten 20 Jahre. Schön ist das nicht, aber notwendig.
Der Beitrag im Deutschen Pavillon „Deutschlandschaft – Epizentren der Peripherie“ überrascht dabei. Demonstriert doch eine 80 Meter lange Fotocollage, die sich durch die Räume schlängelt, dass die Topographien des Grauens draußen vor den Zentren durchaus zu artistischer Choreografie animieren können. Anders gesagt: Architekten haben Ideen entwickelt, wie von Baumärkten extrem zersiedelte Flächen, wie in stillgelegten Industriebrachen des Osten und Westens, wie im Eigenheimbrei oder auf Hafenlandschaften mit intelligent konzipierten kleinen Bauten und oftmals scherzhaften „Implantationen“ das Alltagsleben wieder verbessert werden kann. Es herrscht doch tatsächlich Experimentierfreude in Deutschland, wenn wie bei Dirk Paschke und Daniel Milohnic aus der Zeche Zollverein in Essen plötzlich ein Schwimmbad wird.
Zurück in die Urhütte
Kurt W. Forster hat die Schau mit Beiträgen von 170 Architektenteams in mehrere Themenblöcke – Superstars und Superbauten, Natur und Landschaft, Technik und Reflexion sowie andere – unterteilt. Ein roter Faden zieht sich dennoch durch die 500 Meter lange Halle auf dem Arsenale- und im Giardinigelände. Nicht mehr die kantigen geometrischen Formen Le Corbusiers und der klassischen Moderne bestimmen die Entwürfe heutiger Architekten, sondern ein organischer Ästhetizismus.
Weich sind die Fassaden, Räume und Dächer von Alsop-Architekten, Coop-Himmelblau, Sauerbruch und Hutton oder von Frank Gehry für ihre mit der Stadt oder Landschaft schwingenden Büro- und Theatergebäude. Muscheln gleich öffnen sich Räume oder Spinnweben ähnlich formen sich Konstruktionen, dass darunter Biosphären oder Resonanzräume des Natürlichen entstehen können – Nachfolger von Hans Scharouns Berliner Philharmonie und der Staatsbibliothek.
Zugleich nehmen Architekten Abstand von der schieren Größe der Form. Interessant wird das kleine Haus, das spartanische oder auch bequeme Zimmer, die Urhütte: „New Form of the Interiour“ nennen Mirko Zardini und Goivanni Borasi ihren Ausstellungsbeitrag, der jene Atmosphären des Rückzugs wunderbar ausleuchtet.
Auf nach Kinshasa
Musik dröhnt, schwarze Körper bewegen sich rhythmisch dazu bis zur Ekstase. Boxer trainieren in einem Hinterhof-Gym im Takt der Stadt, der in Form hupender Autos und brüllender Menschenmassen erlebbar ist. Mohammed Ali, „der Größte“, der einmal hier war, hängt als verwaschenes Foto irgendwo. Die Besucher besteigen ein Totenreich aus Bildern toter Kinder. Daneben fließt ein toter Fluss durch ein totes Meer aus Blechhütten. All das flimmert im Belgischen Ausstellungspavillon – einem von 29 auf der diesjährigen Biennale.
„Kinshasa – The imaginary City“ heißt die Installation der beiden Architekten Filip de Boeck und Koen van Syngel, die mit Architektur nichts mehr am Hut haben, aber bei denen Architektur und das unfassbare soziale Elend Resultate von – belgischer kolonialistischer – Politik sind. De Boeck und van Syngel haben für diesen quasi politischen Raum gemeinsam mit Eisenman einen Goldenen Löwen erhalten.
Es ist der Löwe des architektonischen Undergrounds und ein ganz wichtiger auf der Mammutschau, die die Größe von Architektur feiert und weniger ihre Nutzer, Resultate und Wirkungen im Auge hat. „Die bauliche und soziale Krise des Kongo, unter der die Bevölkerung dort lebt“, bemerkten die Kuratoren, „bestimmt über Leben und Tod.“ Das ist wohl die radikalste Analyse, die über Architektur gemacht werden kann. Es ist zugleich aber auch ein Pavillon, der die Unwichtigkeit des Bauens in einer Zeit und auf einem Kontinent zeigt, dessen urbanes Leben als Überlebenskampf daherkommt.
Vorwärts ans Wasser
Natürlich ist das einzig Reale, das schön Gebaute und immer wieder Neue nicht und niemals auf der Architektur-Biennale zu sehen. Hier bestimmt die Idee, das Konzept, die Kunst das Sein. Draußen, vor den Toren des Arsenale, beginnt stattdessen die perfekte Stadt: Venedig, der Canal grande, autofrei, urban, labyrinthisch und schön wie zu Zeiten Canalettos. Mehr als in den Ausstellungen bevölkern die Architekten diesen wirklichen Lebensraum, als wollten sie vor der Zukunft ihrer eigenen Pläne, die unweit des Markusplatzes hängen, entfliehen. Erstmals hat sich die Biennale auch Venedig und dem Thema „Die Stadt am Wasser“ gewidmet. Genua, Athen, Barcelona, Shanghai, Rio de Janeiro, Alexandria oder Hamburg sind auf dem Weg, sich diesem Raum zu öffnen. Die Magie der Lagunenstadt erreichen die neuen Planungen aber nicht.