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Archiv-Artikel

Solidarität mit Sarrazin – aber mit Notbremse

SPD-Kreischefs stellen sich zwar hinter Sarrazin. Eine Mehrheit mag sich aber nicht auf Treue bis zum Letzten festlegen

Von STA

Wer mit SPD-Funktionären über ihren Finanzsenator Thilo Sarrazin spricht, trifft auffällig oft auf das grammatikalische Phänomen der adverbialen Bestimmung der Zeit. Nicht dass die Sozis ihm nicht den Rücken gegen die Tempodrom-Anklage stärken. Aber bei vielen taucht dabei ein „momentan“, „derzeit“ oder „jetzt“ auf. Fazit einer taz-Umfrage unter zehn erreichbaren der zwölf Kreischefs: Man hält zu Sarrazin, sich selbst aber mehrheitlich einen Notausgang offen. Wie Lichtenbergs Kreischef Andreas Geisel: „Von Solidaritätsbekundungen bis zum bitteren Ende halte ich nichts.“

Nibelungentreue ist wenig angesagt. Der linke Abgeordnete Hans-Georg Lorenz sagte der taz, die Frage des Rücktritts stelle sich bei einem Gerichtsverfahren „in aller Härte“. Lorenz ist zwar alles andere als ein Maßstab für die SPD-Fraktion. Doch auch Karlheinz Nolte, Parteichef in Treptow-Köpenick und zugleich Fraktionsvize, würde den Senator nicht wie Hagen in den sicheren Untergang begleiten. „Ich lege mich jetzt nicht für Jahre fest. Das kann keiner.“ Selbst für das, was schon in ein paar Wochen oder Monaten ansteht, bleibt er vage: „Die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens bedeutet für mich nicht automatisch, dass er zurücktreten muss.“ Das heißt aber zugleich: Nolte schließt das auch nicht aus.

Michael Arndt, Chef-Sozi in Steglitz-Zehlendorf, ist einer jener, die „volle Solidarität“ mit einem „momentan“ verbinden. Er sieht ein offenes Ende – „ich will doch erst mal lesen, was in der Anklageschrift steht“. Für Lichtenbergs Chef Geisel hängt die Sarrazin-Deckung „von der Entwicklung und vom öffentlichen Druck ab“. Er erinnert sich an die Frühjahrsdebatte um Peter Strieder: „Da habe ich gesagt, dass wir uns nicht von der Staatsanwaltschaft unsere Senatoren wegschießen lassen. Im Nachhinein muss ich sagen: Das war falsch.“ Öffentlichen Druck könne man nicht ignorieren.

Den aber spürt sein Kollege aus Friedrichshain-Kreuzberg, Marc Rackles, derzeit nicht: „Auf Sarrazin hat mich auf der Straße noch keiner angesprochen, das große Thema ist weiter Hartz IV.“ Spandaus Sven Schulz tönt zwar: „Rücktritt kommt nicht in Frage.“ Aber unbedingte Solidarität bis zum Ende sagt er nicht zu. Mittes Christian Hanke will sich ebenso wenig festlegen, bis wohin seine Rückendeckung geht.

Nur vier der befragten zehn Kreischefs verkünden eine klare Unterstützung bis zum Gerichtsurteil, wie Neuköllns Fritz Felgentreu. Für den Marzahner Sven Kohlmeier hat das „weniger mit Loyalität als mit Rechtsstaatlichkeit zu tun“. Pankows Hans Misselwitz räumt dabei ein, dass ein Gerichtsverfahren „immer eine Belastung für die Autorität eines Amtsträgers“ sei. Bis zuletzt will auch Dilek Kolat zu Sarrazin stehen – kaum überraschend für die Chefin des Kreises, dem Klaus Wowereit und Landeschef Müller angehören.

Inoffiziell sind aber auch deutliche Zweifel zu hören. „Es ist schwierig abzusehen, ob man Sarrazin wirklich halten kann, wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt“, sagt einer der Kreischefs. Ein anderer formuliert: „Sarrazin muss persönlich wissen, was passiert.“ STA