UNRUHEN IN BOLIVIEN: POLITISCHEM MODELL DROHT DER ZUSAMMENBRUCH
: Symbolpolitik mit fatalen Folgen

Nach den blutigen Unruhen vom Februar ist die bolivianische De-facto-Hauptstadt La Paz wieder Schauplatz von gewalttätigen Auseinandersetzungen. Seinerzeit ging es um die Einführung einer Lohnsteuer, jetzt ist der Protest gegen den Gasexport über Chile in die USA zum Auslöser geworden. Die beliebteste Methode: Straßenblockaden, um La Paz förmlich zu belagern.

Die Forderungen in Sachen Gas sind populistisch und haben einen nationalistischen Unterton. Es geht nicht nur um die Konditionen von Gasexporten, sondern um Symbole: Gasexport über chilenische Häfen – die Chilenen haben Bolivien vor über 120 Jahren den Zugang zum Meer gestohlen. Gasexport in die USA – die Gringos beuten die Reichtümer Boliviens aus. Nur fragt man sich, was Bolivien denn sonst exportieren will und würde, wenn denn die Protestierenden regieren müssten.

Die konkreten Anlässe für solche Protestwellen sind fast beliebig geworden. Hinter ihnen steht eine tiefe Unzufriedenheit. Nach 18 Jahren formal stabiler Demokratie und neoliberaler Wirtschaftspolitik sind die Verheißungen auf ein besseres Leben unerfüllt geblieben. Die politische Klasse war stolz, seit 1985 Koalitions- und Dialogfähigkeit in die bolivianische Politik eingeführt zu haben. Jetzt droht das Modell zusammenzubrechen, denn große Teile der Gesellschaft blieben außen vor.

Aber die Proteste haben bei aller Polarisierung weder ein klares politisches Ziel noch eine eindeutige politische Führung. Jeder nutzt die Proteste für eigene politische Interessen: die Gewerkschaften, die Minenarbeiter und die Kokabauern mit ihrem Anführer Evo Morales, inzwischen Oppositionsführer im Parlament, oder der radikale Bauernführer und Abgeordnete Felipe Quispe. Argwöhnisch beäugen sich die Spitzenfiguren der Opposition, wer da welches taktische Bündnis schmiedet. Offen ist die Frage, wie groß der Rückhalt für so radikale Proteste wirklich ist. In La Paz leiden auch die einfachen Leute unter den Blockaden, und in anderen Regionen des Landes ist das Echo begrenzt.

Präsident Sánchez de Lozada, vor acht Jahren noch Hoffnungsträger mit spektakulären Reformen, versucht indessen mit Waffengewalt, die Wege nach La Paz freihalten zu lassen, und spricht von einem Putschversuch. Seine politische Hilflosigkeit hat fatale Folgen.

Denn was wird geschehen? Wieder einmal werden Kirche und Menschenrechtler vermitteln, wird eine fragile Übereinkunft vorläufig für Beruhigung sorgen. Doch kein Problem wird gelöst sein, solange das nicht alle Beteiligten wirklich wollen. ULRICH GOEDEKING

Der Autor ist Journalist in Berlin mit dem Schwerpunkt Andenländer