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Archiv-Artikel

Arisiert und die Akten geschlossen

Yehuda Levi, auf Einladung des Kölner Jugendclubs Courage und des EL-DE-Hauses mit Ehefrau Riwka zu Besuch in seiner Geburtsstadt, spricht zu Schülern über Judenverfolgung und trifft Edelweißpiraten

von Christian Gottschalk

Reichspogromnacht 1938 in Köln. Nazis schlagen die Scheiben der Miele-Vertretung Levi in der Luxemburger Straße ein. Am nächsten Morgen vernageln zwei Söhne des jüdischen Besitzers die zerstörten Fenster mit Brettern. Mit einem Bollerwagen, beladen mit Holz und der Leiter, haben sie sich durch die gaffende Menge kämpfen müssen. Der Pöbel hat sie bespuckt und beschimpft.

Als dann aber die beiden jungen Männer mit ihrer Arbeit beginnen, weichen die Leute verwirrt zurück. „Man sah ihnen an, was sie dachten“, erzählt Yehuda Levi. „Da steigen zwei auf eine Leiter, hantieren mit einer Säge? Das können keine Juden sein.“ Dass auch Juden bisweilen mit den Händen arbeiten, stand nicht im Nazihetzblatt Der Stürmer. Yehuda Levi kann ein Jahr später nach Palästina fliehen – seine Eltern wurden vermutlich in Auschwitz ermordet. Auf Einladung des Jugendclubs Courage und des NS-Dokumentationszentrums im EL-DE-Haus ist der gebürtige Kölner in dieser Woche zu Besuch in der Stadt.

Begleitet wird er von seiner Ehefrau Riwka (74), einer gebürtigen Bulgarin. Beide haben sich nach dem Krieg kennengelernt und am Aufbau Israels mitgearbeitet. Davon und vor allem vom Leben unter der Nazidiktatur muss Yehuda Levi erzählen, als er als „Zeitzeuge“ zu Schülerinnen und Schülern des Kölner Humboldt-Gymnasiums spricht, der Schule, auf die er einst selber gegangen war. Da sie sich gewünscht hatten, Deutsche ihrer Generation kennen zu lernen, die Widerstand geleistet haben, gibt es auch eine Begegnung mit dem ehemaligen Edelweißpiraten Jean Jülich.

Für Yehuda Levi ist es nicht der erste Besuch in der Stadt, in der er vor 81 Jahren geboren wurde. 1965, er war inzwischen Ingenieur im Kibbutz Ma‘abarot in der Nähe von Netanya, hatte ihn eine Dienstreise nach Holland geführt. Er ergriff die Gelegenheit und fuhr auch nach Köln. Er wusste, dass sein Geburtshaus nicht mehr existiert und fand eher zufällig beim Flanieren über die Ringe die Miele-Vertretung Cramer.

Kurz nach der Pogromnacht war das Geschäft des Vaters arisiert worden, ein Herr Cramer in SA-Uniform hatte es übernommen. Yehuda Levi erinnert sich: „Sollte ich reingehen? Das gibt bestimmt Ärger.“ Er ging dann doch rein, fragte nach Herrn Cramer. „Der wurde weiß wie eine Wand“, erzählt Levi. Dennoch kam es zu einem Gespräch. „Sie waren Parteimitglied und haben das Haus gekauft“, hielt ihm Levi vor. „Bis auf den letzten Heller“ hätte er dem Vater den Kaufpreis gezahlt, habe Cramer erwidert. Alle Akten wären geschlossen, und darüber hinaus wäre seine Tochter mit einem Juden verheiratet. Vielleicht eine typische Reaktion im Deutschland des Jahres 1965.

Auch den heutigen Besitzer der Miele-Vertretung, den Schwiegersohn des SA-Mannes Cramer, suchte Levy später auf. Der hätte behauptet, niemand in der Familie könnte Angaben zu einem Haus in der Luxemburger Straße 5 machen. In einem Brief an Levy merkte er später an, die Sippenhaft sei in Deutschland abgeschafft. In einem Firmenprospekt entdeckte Levy ein Bild des Hauses auf einer Seite mit der Überschrift „Tradition macht Sinn“. Den Brief, den er daraufhin im Juli 2000 verfasste, sollte er nie abschicken. „Die ganze Sache hat mich angeekelt.“

Wesentlich erfreulicher verläuft das Treffen mit Jean Jülich in dessen Stammkneipe „Schmitze Lang“. Schon nach kurzer Zeit gehen die beiden alten Männer dazu über, sich Witze zu erzählen, danach singen sie Lieder aus ihrer Jugend. Und schließlich endet alles, wie könnte es anders sein, mit „Mr losse dr Dom in Kölle“ im Karneval.