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Archiv-Artikel

„Sie zu töten ist Pflicht“

Die meisten islamischen Rechtsgelehrten in der arabischen Welt rechtfertigen Entführungen und Morde an Ausländern und Arabern im Irak

VON KARIM EL-GAWHARY

Die Diskussion findet vor akutem Hintergrund statt: Insgesamt befinden sich im Irak derzeit mindestens 19 Ausländer aus 12 Ländern in der Gewalt von politisch motivierten Kidnappern. Die fordern entweder den Rückzug der jeweiligen Truppen oder verlangen, dass die Firmen, für die sie arbeiten, ihre Aktivitäten im Irak einstellen.

Was die arabischen Medien als „Widerstand gegen die Besatzung“ beschreiben, findet in der arabischen Öffentlichkeit breite Zustimmung, und nur wenige Araber empfinden das Töten von US-amerikanischen „Besatzungssoldaten“ als verwerflich. Unter islamischen Rechtsgelehrten dominiert die Meinung, die den Widerstand gegen die Besatzung als einen notwendigen Teil des Dschihad ansieht. Dieser stellt für alle Muslime eine Pflicht dar.

Rechtsgelehrte, die sich dem nicht anschließen, halten sich derzeit eher zurück. Ein Fatwa gegen den „irakischen Widerstand“ per se ist nirgendwo in der arabischen Welt opportun. „Wenn die Amerikaner kommen, um unser Land zu besetzen und unser Leben und unsere Häuser zu zerstören, können wir nicht einfach zusehen“, lautet das stets wiederholte Argument. Doch die Geiselnahmen und die im Internet verbreiteten Enthauptungsvideos haben nun eine Diskussion entfacht, wo die Grenzen des Dschihad verlaufen.

Der bekannteste arabische Fernsehscheich Yussuf Al-Karadawi, dessen regelmäßige Programme sich im Fernsehsender al-Dschasira eines großen Publikums erfreuen, erklärt, dass „sowohl die Religion als auch die Logik“ die Geiselnahmen verbietet. Derartiges sei laut Scharia eindeutig verboten, ließ er verlauten und bezeichnetet die Mörder von zwölf nepalesischen Geiseln als „Männer ohne Religion und ohne Hirn“.

Karadawi gehört aber andererseits zu den eindeutigen Befürwortern des Dschihad im Irak. In einer Rede vor der ägyptischen Journalistengewerkschaft sanktionierte er das Töten von US-Amerikanern im Irak – ob Zivilisten oder Soldaten. „Die Amerikaner im Irak sind alle Kombattanten, und sie zu töten ist eine Pflicht, bis sie den Irak verlassen“, lautet seine Lehrmeinung.

Andere Rechtsgelehrte, wie Abdel Azim al-Maatani, Professor an Kairos islamischer Al-Azhar-Universität und Mitglied des hohen Rates für Islamische Angelegenheiten schlossen sich dem schnell an. Die Amerikaner hätten den Irak angegriffen und dort Verbrechen begangen. Sie dort anzugreifen sei legitim. Genauso wie das Töten von Arabern, die mit ihnen zusammenarbeiten und als Verräter angehen werden müssen, argumentiert er in der saudischen Tageszeitung Scharq Al-Aussaat und schließt dabei selbst Entführungen der „arabischen Verräter“ nicht aus. Allerdings, so Maatani ausdrücklich, dürften die Amerikaner nur im Irak angegriffen werden, nicht in den USA.

Der prominente ultrakonservative ägyptische Scheich Abdel Sabur Schaheen interpretiert das Töten von Zivilisten und die Geiselnahmen als Teil eines ungleichen Kampfes, in dem die andere Seite mit Bombenangriffen aus der Luft auch nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheide. In Zeiten moderner Waffentechnologie müssen auch die Methoden des Dschihad neu interpretiert werden, um einen Ausgleich zur technologischen Überlegenheit der US-Armee zu schaffen, meint er. „Im Irak herrscht ein brutaler Krieg, und da werden alle Mittel angewendet. Später wird man sich vielleicht darüber unterhalten, was angebracht war und was nicht“.

Auf die Frage, ob es denn nicht gerade die Rolle der islamischen Rechtsgelehrten sei, in diesem Konflikt Prinzipien festzulegen, winkt er ab. „Was sollen die Rechtsgelehrten sagen, wenn selbst ihre Moscheen angegriffen werden“, erklärt er, während er sich entspannt in seinem Sessel in seiner islamischen Bücherei in einem Vorort von Kairo, tausende Kilometer entfernt von Bagdad, zurücklehnt.

Aber es gibt auch andere Stimmen unter den Rechtsgelehrten, wie Scheich Abdel Muati Bayumi, Mitglied des einflussreichen Forschungsinstituts der Azhar-Universität und des Komitees für religiöse Angelegenheiten im ägyptischen Parlament. Für ihn sind alle Zivilisten im Dschihad tabu. Er zitiert eine Überlieferung des Propheten, laut der Muhammad vor der Schlacht seine Kommandeure angewiesen hat, nicht nur Frauen, Kinder und Alte der Feinde, sondern auch deren Palmen zu verschonen.