„Kein Abhängen in den Zellen“

Tag der offenen Tür in der Jugendvollzugsanstalt Schleswig: Gefangene sind nicht zu besichtigen, dafür die Werkstätten. Und deren Bilanz kann sich sehen lassen, denn mehr als die Häfte der Insassen schafft den Sprung in Ausbildung oder Beruf

aus Schleswig Esther Geißlinger

Christa Andresen sitzt zum ersten Mal im Knast, und es gefällt ihr. Nach Kaffee und Kuchen im hellen Speisesaal der Jugendvollzugsanstalt Schleswig zieht die 70-Jährige Bilanz: „Ich dachte, hier gäbe es einen nackten Innenhof – so wie man sich ein Gefängnis eben vorstellt.“ Stattdessen fand die Besucherin hinter der hohen Mauer einen gepflegten Rasen, Blumentöpfe und Werkstätten, die sich nur durch Gitter vor den Fenstern von Lehrwerkstätten „draußen“ unterscheiden. „Gut, dass man das mal besichtigen kann“, findet Andresen. Wenn sie demnächst wieder mit dem Fahrrad vorbeifährt, hat sie sicher keine Angst mehr.

Eben das will die Anstaltsleitung erreichen, darum öffnete das Gefängnis am vergangenen Samstag, dem landesweiten „Tag der Justiz“, seine Tore. Gefangene sind nicht zu sehen – es soll sich kein „Zoogefühl“ einstellen. Aber die Werkstätten sind zu besichtigen, und Cordula Herbst-Peters, die stellvertretende Leiterin, erzählt vom Leben hinter Gittern. 73 junge Männer aus zurzeit elf Nationen sitzen im geschlossenen Vollzug ein, Durchschnittsalter 19 bis 20 Jahre, durchschnittliche Haftdauer zwölf Monate. Sie leben in Wohngruppen, arbeiten tagsüber in einer der Werkstätten oder im Computer-Labor. „Es gibt kein Abhängen in den Zellen“, sagt Herbst-Peters.

Einige Insassen holen den Hauptschulabschluss nach, viele nehmen an berufsvorbereitenden Kursen teil. 56 Prozent schaffen nach Ende der Haftstrafe den Sprung in Arbeit, Lehre oder weiterführende Schule – ein im Bundesvergleich sehr gutes Ergebnis, betont Wolfgang Bernhardt vom Berufsfortbildungswerk (bfw), das als freier Träger die Ausbildung koordiniert.

„Muss man straffällig sein, um gefördert zu werden?“

Doch das Modell ist gefährdet – Schuld hat die Bundesagentur für Arbeit. Noch zahlt das Land 30 Prozent der Kosten für die berufsvorbereitenden Kurse, 20 stammen aus EU-Mitteln, 50 Prozent von der Bundesagentur. Das soll sich ändern – und damit ist unklar, ob das Angebot bestehen bleibt. „Wir sind noch in Verhandlungen“, sagt Bernhardt. „Wir betonen, wie sinnvoll es ist, gerade diese Jugendlichen zu fördern.“ Aber er nennt auch das Gegenargument konkurrierender Vereine: „Muss man straffällig sein, um gefördert zu werden?“ Denn die Bundesagentur streicht flächendeckend Leistungen, die Angebote aller Bildungsträger brechen ein. Bernhardt vermutet, dass die Kürzungen auf jeden Fall die erwachsene Insassen treffen werden.

„Wir kriegen das hin“, verspricht hingegen Justizministerin Anne Lütkes (Bündnis 90/Grüne). In Schleswig-Holstein müsse „die Resozialisierung mit sozialpädagogischen Maßnahmen ernst genommen“ werden. Die „konservative Position, die Erziehung im Strafrecht abzuschaffen, ist kontraproduktiv“, sagte sie der taz. „Menschen haben ein Recht auf Erziehung.“ Dass das Geld koste, sei selbstverständlich: „Menschlichkeit gibt es nicht zum Nulltarif.“

Kritik bekam sie in den vergangenen Tagen zu hören, weil die Gefängnisse im Land überfüllt sind. Der Grund sei, erklärte Lütkes, dass überall Knäste modernisiert würden: „Daher gibt es eine intensive Verlegungspraxis zwischen den Anstalten“ – und es teilen sich zeitweise mehrere Menschen Ein-Personen-Zellen. Bis zum Jahr 2006 soll der Umbau beendet sein, dann gibt es rund 180 Zellen mehr im Land. Außerdem setze die Justiz auf das Programm „Schwitzen statt sitzen“, also gemeinnützige Arbeit statt Haft. „Das wird jetzt als Neuheit verkauft, aber wir machen das seit Jahren“, sagte Lütkes. Die Grundhaltung der RichterInnen sei, das Gefängnis als letzte Möglichkeit zu nutzen und lieber Bewährungsstrafen zu vergeben. Dadurch läge die Zahl der Gefangenen pro 100.000 EinwohnerInnen im Land bei 60 – im Bundesschnitt sind es 100.

Für die CDU ist das ein weiterer Beweis dafür, dass Schleswig- Holstein zu den „Schlusslichtern der inneren Sicherheit“ zähle. In ihrem Wahlprogramm stellen die Christdemokraten daher einen Gruselkatalog auf: Schleierfahndung, finaler Rettungsschuss, Videoüberwachung und die Verfolgung von Cannabis-KonsumentInnen sollen dafür sorgen, dass „Schleswig-Holstein sicherer wird“. Rot-Grün setzt dagegen auf Prävention, gerade im Jugendbereich: „Der Ruf nach härteren Strafen zeugt von Hilflosigkeit“, so Lütkes.

Gerichtsbesuch: „Sehen, wie das real so abläuft“

Dass das Justizsystem die Menschen fasziniert, bewies der „Tag der Justiz“: Rund 3.000 Menschen besichtigten am Samstag Gerichte, besuchten eigens angesetzte Verhandlungen oder informierten sich über die Aufgaben von AnwältInnen oder SchöffInnen. Allein etwa 800 BesucherInnen kamen ins Schleswiger Oberlandesgericht.

Mit gemischten Gefühlen verließen allerdings Taika Koch, Julia Stroth und Anja Matzen eine Verhandlung. Die 17- und 18-Jährigen wollten „mal sehen, wie das real so abläuft“ – Stroth und Matzen interessieren sich für eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin. Aber statt handfester Kräche wie bei Fernseh-Richterin Salesch lieferte die Vorsitzende Richterin Jutta Lewin-Fries ein Verfahren, an dessen Ende die jungen Frauen „nicht wirklich“ verstanden, wer eigentlich gewonnen hatte. Danach war zumindest Taika Kochs Interesse am „Tag der Justiz“ erloschen: „Für mich ist es das gewesen.“