: Mit dem Diamant-Meißel durchs Salz
Mit schwerem Gerät bohrt die RWE seit gestern in Lilienthal bei Bremen wieder nach Erdgas. 1980 wurde dort nur wenig Gas gefunden – man hatte sich offenbar verbohrt. Die erwarteten Kosten des neuen Versuchs: 10 Millionen Euro
aus Lilienthal Ebbe Volquardsen
Der stark abgenutzte Bohrmeißel an der Einfahrt erinnert noch daran: Bereits 1980 hatte man versucht, auf der Wiese am westlichen Stadtrand von Lilienthal nach Erdgas zu bohren. Als man es endlich geschafft hatte, den Bohrer rund fünf Kilometer in den Boden zu stoßen, stand fest: Tief in der Erde unter der niedersächsischen Stadt kurz vor den Toren von Bremen gibt es Erdgas. Die mit Gas gefüllte Sandsteinschicht, auf die das Team der mit der Bohrung beauftragten RWE Dea damals stieß, war allerdings nur drei Meter dick. Viel zu dünn, als dass es sich gelohnt hätte, die Förderung aufzunehmen.
Heute, rund 25 Jahre später, herrscht wieder reger Betrieb auf dem Lilienthaler RWE-Gelände. Lastwagen haben in den vergangenen Tagen hunderte von Rohren auf die Wiese zwischen Maisfeldern geschafft. 62 Meter streckt sich der neu aufgebaute Bohrturm in den Himmel. Die Experten sind zurück. Seit gestern wird in Lilienthal wieder gebohrt. Die RWE will es nochmal versuchen. Die Grafik, die Bohringenieur Harold Karsch an die Wand projiziert, zeigt das Missgeschick aus den frühen Achtzigern unverhohlen. Die Bohrexperten haben damals danebengebohrt. In den späten Siebzigern hatte man bereits versucht, sich von bremischer Seite dem Lilienthaler Erdgasvorkommen zu nähern. Doch auch der erste Versuch war fehlgeschlagen. Der Bohrer erwischte nur den Rand des Gasfeldes. Irgendwo zwischen beiden Fehlversuchen musste der wertvolle Rohstoff also zu finden sein. „Diesmal wird es klappen“, ist sich Dr. Andreas Brandt, Geologe von der RWE Dea AG ganz sicher. Die seismographische Technik habe sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Man könne heute mit großer Sicherheit feststellen, wo sich das Erdgas befindet.
Nur 300 Meter unter der Lilienthaler Erde liegt ein gewaltiger Salzstock. Glück für die Bohrer der RWE. Salz ist nicht besonders fest. Die Ingenieure werden nur wenige Meißel verschleißen müssen. 5000 Meter unter dem Salz befindet sich die Sandsteinschicht, in der das Erdgas vermutet wird. Als sich der Sandstein vor 250 Millionen Jahren bildete, glich das Land noch einer Sandwüste. Heute steht dort eine Reihenhaussiedlung. Tief unter den exakt gemähten Rasenflächen der Vorgärten, in denen hier und dort auch eine holländische Miniatur-Windmühle Platz findet, werden sich in den nächsten 115 Tagen die Diamant-Meißel der RWE ihren langen beschwerlichen Weg durch das Salz bahnen. Da der Bohrturm nicht zwischen den Wohnhäusern aufgebaut werden konnte, müssen die Erdgas-Sucher nun um die Ecke bohren. Rund einen Kilometer sind die Gasvorkommen von der Bohrstelle entfernt. Eine Kurve von 25 Grad muss unten im Salzstock geschaffen werden. Ferngesteuerte Gelenke an den Meißeln machen‘s möglich.
Fast 2,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas hat die RWE Dea AG im Jahr 2003 in Deutschland gefördert – einen großen Teil davon in Niedersachsen. Mehrere Milliarden Kubikmeter erhofft sich Harold Karsch auch von der Lilienthaler Bohrstelle. Schließlich ist die gashaltige Gesteinschicht 160 Meter dick. Die Testbohrung kostet rund 10 Millionen Euro. Wenn kein Gas gefunden wird, sind die in den Sand gesetzt. Deswegen teilt die RWE Dea Risiko und Gewinne mit vier weiteren Anbietern, mit denen sie in einem Konsortium kooperiert.
An wen das Lilienthaler Gas einmal verkauft werden soll, kann RWE-Dea-Sprecher Derek Mösche noch nicht sagen. Wenn das Vorkommen groß genug ist, um eine Förderung rentabel zu machen, muss erst noch eine Pipeline nach Achim gelegt werden. Dort könnten sich die Lilienthaler an das Gasnetz andocken. Förderungsbeginn ist aber frühestens in einem Jahr. Vorerst sind 22 Experten in drei Schichten Tag und Nacht damit beschäftigt, das gewaltige Bohrgestänge in Stücken von 27 Metern Länge zusammen zu schrauben. Die schiebt der 1000 PS starke Elektromotor des Bohrturms dann langsam in die Erde.