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Archiv-Artikel

HÖHERE BAHNPREISE WERDEN DIE BILANZ DER BAHN NICHT VERBESSERN Schachspieler ohne Weitblick

Bahnchef Hartmut Mehdorn will schon wieder durch die Wand – und rennt wie üblich dagegen. Gestern ließ er verkünden, dass die Deutsche Bahn AG kurz vor Weihnachten die Fahrpreise erhöhen wird – und zwar saftig. Weitreisende sollen künftig über 4 Prozent mehr zahlen. Die Billigflieger werden sich freuen.

Offiziell begründet wird der Schritt mit gestiegenen Energiepreisen. Die sind zwar tatsächlich in den vergangenen Monaten hochgegangen. Doch eine Verteuerung der Tickets in dem Maße, wie Mehdorn sie jetzt plant, lässt sich damit nur zu einem Bruchteil rechtfertigen. So liegt der eigentliche Grund wohl darin, dass Mehdorn mit allen Mitteln versuchen will, den Börsengang seines Unternehmens doch noch irgendwie im Jahr 2006 hinzukriegen. Im Juni hatte der Bundestag einmütig beschlossen, erst dann wieder darüber zu reden, wenn die Bahn mehrere Jahre hintereinander solide schwarze Zahlen geschrieben hat. Die will Mehdorn nun nachweisen – koste es, was es wolle. Winter und Weihnachten, da werden die Leute schon nicht abspringen, scheint die Kalkulation zu sein. Dabei sind die Fernverkehrszüge schon heute nur zu 40 Prozent ausgelastet und haben im ersten Halbjahr ein Minus von 214 Millionen Euro eingefahren. Woher Mehdorn die Hoffnung nimmt, dass die Waggons auch nach den Preiserhöhungen gleich voll bleiben, bleibt sein Geheimnis.

Auch hier verhält sich Mehdorn wieder einmal wie ein Schachspieler, der immer nur an den nächsten eigenen Spielzug denkt und nicht damit rechnet, dass auch sein Gegenüber reagieren wird. So streicht Mehdorn zurzeit, wo immer es geht, am Service. Allein im Ticketverkauf will er 100 Millionen sparen. Die Schlangen an den Schaltern werden immer länger, weil bis Ende 2005 ein Viertel des Personals allein in diesem Bereich abgebaut wird. Sollen die Leute doch gefälligst an den Automaten gehen oder im Internet buchen, lautet die Empfehlung des Bahnchefs. Was aber, wenn die Kunden einfach kein Bahnticket mehr lösen, sich hinters Steuer klemmen oder zum Flughafen fahren? ANNETTE JENSEN