piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Umdeuter

Die Hamburger Band „Passierzettel“ liebt das Leben in Freiheit. Feste Songstrukturen gibt es nicht, nur sehr viel Material. Morgen tritt die Band mit CAN-Sänger Damo Suzuki auf

von Carsten Klook

Der Name der Band ist dem Straßennamen „Passierzettel“ in Hamburg-Veddel entlehnt. An dieser Straße mussten Auswanderer im 19. Jahrhundert ihre Passierscheine oder eben Passierzettel vorweisen, um auf die Emigranten-Schiffe im Hamburger Freihafen zu gelangen. Das Studio der Band befand sich elf Jahre in dieser Straße. Die Aussicht auf ein Leben in Freiheit war auch bei der Wahl der musikalischen Mittel immer ein Kriterium für die Band, die von Anbeginn auf feste Songstrukturen verzichtete und sich der puren Improvisation verschrieb. Live-Performances finden oft im künstlerisch-erweiterten Umfeld statt, zum Beispiel waren Passierzettel Bestandteil des „Kopfhörer-2002-Projekts“ auf der Dokumenta 11, wo sie eine Performance von Madame Steckhan begleiteten. Ein Interview mit Martin Pozdrowicz, Thomas Siebert und Thomas Piesbergen.

taz: Ihr habt gerade eure achte CD produziert: „Live On Air / FSK 93,0“. Wie hoch ist Eure Auflage?

Martin Pozdrowicz: Die Auflage der Passierzettel-CDs entsteht durch die Nachfrage. Wir brennen selbst und verkaufen dann CDs auf Konzerten und über unsere Homepage.

Seid Ihr auf der Suche nach einem Label, oder seht Ihr das bereits als Schritt in die Kommerzialität?

Thomas Siebert: Wir sind nicht explizit gegen Labels. Wenn wir mit einem Label ohne Vorgaben zusammenarbeiten könnten, würden wir das machen.

Thomas Piesbergen: Wir schreiben Labels an, aber die scheinen gewisse Risiken zu scheuen. Wenn man keine abrufbaren Songs hat, die man immer wiederholt, schreckt das anscheinend ab. Im Ausland kommt unsere Musik besser an, Labels in Neuseeland, Finnland und England zeigen da Interesse. Derzeit versuchen wir unsere Tentakeln nach Japan auszustrecken.

Ihr klingt auf der neuen CD nach mehr Elektronik.

Martin Pozdrowicz: Das liegt hauptsächlich am Fortgang unseres Bassisten Sven.

Thomas Piesbergen: Unser mehr nach Elektronik klingender Sound entsteht auch dadurch, dass ich jetzt auch einen Sampler habe und als Sänger direkt eingreifen kann in den Bandsound.

Wie arbeitet ihr bei Proben?

Thomas Siebert:Das ist eher ein Training, als eine Probe: Einmal in der Woche.

Bereitet Ihr Themen vor?

Thomas Siebert: Wir haben keine Themen. Mich langweilt es, Songs zu machen und die dann immer genau so zu wiederholen.

Martin Pozdrowicz: Manchmal bereite ich Loops vor. Wir sammeln Samples und Loops.

Thomas Siebert: Ich habe früher Tonleitern und Kinderlieder geübt. (Piesbergen und Pozdrowicz lachen) Eigentlich geht es in unserer Musik um Umdeutung.

Thomas Piesbergen: Es geht um Interpretation, wie der Loop des Einen vom Anderen gehört wird.

Thomas Siebert: Dabei hat man kein spezielles Ziel. Man schöpft aus dem Leeren.

Thomas Piesbergen: Es hat zu dritt jetzt mehr Hörspiel-Charakter. Can, Jazz und Dub interessieren uns. Zusammen mit Elementen aus der Gamelan-Musik, Ethno-Sounds und Bushman-Loops ist das eine spontan zusammengesetzte Collage.

Spielt Ihr Euch gegenseitig Platten vor?

Thomas Siebert: Eigentlich hören wir zusammen nur unsere eigene Musik. Wir haben ein großes Archiv an DAT-Cassetten und „sichten“ die immer mal wieder. Man kommt da ja gar nicht hinterher. Es ist so viel Material.

Ein Titel auf der CD heißt „The Life Of Kyla Cole“. Wer ist das?

Thomas Piesbergen: Kyla Cole ist mir irgendwann im Internet so untergekommen (Lachen bei Siebert und Pozdrowicz). Sie ist eine charismatische Figur, angesiedelt in der Glamour- und Softporno-Welt. Wir haben dieses Stück über sie gemacht, weil es theamtisch gut zum Sin-City-Konzept des Albums passte. Ihr Management hat sich nun bei uns gemeldet und will die CD haben.

Wie sieht Eure Vorbereitung für das sensationelle Konzert mit dem ehemaligen Can-Sänger Damo Suzuki in der Schilleroper Hamburg aus?

Martin Pozdrowicz: Wir holen ihn vom Zug ab und bringen ihn direkt auf die Bühne. Er ist das ganze Jahr unterwegs. Es war sehr schwer, ihn überhaupt zu kontakten.

Thomas Piesbergen: Da ich weniger Vocals machen werde, kümmere ich mich mehr um die Samples.

Konzert mit CAN-Sänger Damo Suzuki: Samstag, 21 Uhr, Schilleroper