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Archiv-Artikel

Spanien und Polen gegen Frankreich und Deutschland

Die „mittleren“ EU-Staaten wollen sich die Vorherrschaft von Berlin und Paris nicht gefallen lassen und kämpfen für mehr Stimmen im Ministerrat

MADRID taz ■ José María Aznar fühlt sich als großer Weltpolitiker. Seit Spaniens Ministerpräsident an der Seite der USA in den Irakkrieg zog, lässt er sich immer wieder von amerikanischen Vereinigungen ehren. In Europa sieht Aznar seine Rolle längst nicht mehr an der Seite Deutschlands und Frankreichs. Er schmiedet vielmehr an einer Gegenachse. Diese soll sowohl innereuropäisch als auch in der internationalen Politik ein Gegengewicht zu Paris und Berlin bilden. Zusammen mit Großbritannien, Italien und vor allem dem „neuen Europa“ im Osten soll das gehen. Aznar tritt im kommenden Frühjahr nicht mehr bei den Wahlen an. Immer wieder wird gemunkelt, dass er auf einen Posten in Brüssel als Ratspräsident schielt. Sollte dem so sein, wird er sicher die internen EU-Konflikte noch zuspitzen.

Denn wenn José María Aznar über die EU redet, zückt er den Taschenrechner. So war es bei der Agenda 2000, als der Ministerpräsident 213 Milliarden Euro für Spanien an Strukturhilfe rausschlug, und so ist es jetzt bei der Debatte um die EU-Verfassung. Auch hier lässt sich das größte Problem des Konservativen in Zahlen fassen. Es geht um die Stimmen im Ministerrat. Und damit um die Macht in der Europäischen Union.

„Wir werden auf keinen Fall von Nizza abweichen“, heißt das Ergebnis von Aznars Rechnung. Denn beim dortigen EU-Gipfel im Dezember 2000 feilschte er erfolgreich um Stimmen. Spanien zählt weder zu den großen noch zu den kleinen EU-Ländern. Als die Union noch 12 Mitglieder hatte, verfügte Madrid über acht Stimmen im Rat, zwei weniger als Deutschland oder Frankreich, aber genug für eine Sperrminorität, was einem Vetorecht gleichkommt. Erfolgreich drohte Spanien immer wieder damit, vor allem, wenn Aznars Taschenrechner zeigte, dass die Zuwendungen aus Brüssel zu niedrig ausfallen könnten.

In Nizza verwandelte sich dies dann in 27 Stimmen, zwei weniger als die vier Großen, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Aznar war zufrieden. Denn diese Regel hätte es ihm erneut erlaubt, zusammen Entscheidungen der EU zu blockieren. Im Tausch verzichtete Madrid auf 22 Prozent seiner EU-Abgeordneten.

Jetzt droht der Konvent und die von ihm ausgearbeitete Verfassung einen Strich durch die Rechnung zu machen. Denn Ziel des Konvents war es, die Union handlungsfähiger zu machen, und auf die Abstimmungprozedur im Rat umgesetzt hieß das: Das für Entscheidungen notwendige Stimmenquorum wurde herabgesetzt. Demnach ist eine Ratsentscheidung bereits gültig, wenn ihr die Hälfte der Mitgliedstaaten zustimmt, die zugleich sechzig Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Spanien mit seinen nur 40 Millionen Einwohnern stellt jedoch nur 10 Prozent der EU-Bürger und wird so nur noch in Koalition mit vielen anderen Staaten Entscheidungen blockieren können.

Die spanische Tageszeitung El País will von einem möglichen Kompromiss erfahren haben. Demnach wird Aznar im letzten Augenblick vorschlagen, dass für eine Sperrminorität schon ein Drittel der Bevölkerung reichen soll. Damit wäre das eigene Gewicht dann wieder etwas größer. Zusammen mit zwei Großen hätte Spanien die Quote erreicht. Aus dem Außenministerium war dafür keine Bestätigung zu erhalten.

Ob Spanien den Vorschlag des Konvents kippen kann, ist fraglich. Denn sein Anti-Berlin-Paris-Block zeigt Risse. Bisher hofften die Spanier mit Hilfe der britischen Regierung die Verfassung in punkto Stimmrecht nachbessern zu können. Doch Tony Blair, Aznars Freund aus gemeinsamen Irakkriegstagen, ist inzwischen dabei, sich wieder mit den Gegnern des Waffengangs aus Paris und Berlin zu versöhnen. Bleiben die Osteuropäer, allen voran Polen. Sie unterstützten Aznar beim Streit um die Stimmengewichtung. Denn Polen hat wie Spanien 40 Millionen Einwohner und möchte auch zu den Großen gezählt werden. Und noch etwas verbindet die beiden Länder. Ihr Glaube an Gott. Einen Gottesbezug will Aznar unbedingt in der Präambel der Verfassung sehen – ausschließlich in seiner christlichen Form, versteht sich. REINER WANDLER