SERBIENS POLITISCHEM SYSTEM DROHT EIN GEFÄHRLICHES MACHTVAKUUM : Miloševićs Machtsystem besteht weiter
Nach der Wende vor drei Jahren im durch Kriege, Räuberei und internationale Sanktionen wirtschaftlich und sozial ruinierten Serbien standen der verstorbene Premier, Zoran Djindjić, und seine demokratische Regierung unter Zugzwang: Reformen mussten schleunigst angekurbelt werden, Serbien musste andere osteuropäische Transitionsländer einholen.
In der Eile und im Kampf gegen die Überreste der verbrecherischen Nomenklatur von Slobodan Milošević umging Djindjić – auf dem Weg nach Europa – oft Gesetze und Verfassung. Wirtschaftliche Reformen und die Zusammenarbeit Belgrads mit dem UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen wurden gegen das verbohrte, nationalistische Lager durchgeboxt. Politische Reformen und der Aufbau demokratischer Institutionen wurden vernachlässigt. Das Machtsystem von Milošević ist geblieben – es macht das Regieren eben einfach. Reformen in Polizei, Armee und Justiz ließen auf sich warten.
Während seiner Herrschaft bestimmte Milošević über alles; nachdem er in das Haager Gefängnis gesteckt wurde, bestimmte die Regierung über alles, oft im Namen der Demokratie demokratische Institutionen umgehend. Djindjić hatte Charisma und eine Vision, dank seiner Autorität und politischen Geschicks konnte die bunte, aus 17 Parteien bestehende, regierende Koalition DOS immer wieder eine knappe Mehrheit im Parlament bestätigen. Ohne Djindjić war die Regierung kopflos. Ohne feste demokratische Institutionen und parlamentarische Spielregeln zeigten sich nach der Ermordung Djindjićs erste Zerfallserscheinungen, die eine institutionelle Krise andeuteten.
Serbien hat keinen Präsidenten, eine von Korruptionsaffären erschütterte Regierung und einen Premier ohne jede Autorität, eine unbrauchbare Verfassung und veraltete Wahl- und Mediengesetze aus der Ära von Milošević. Die Parlamentskrise könnte nun eine komplette institutionelle Krise auslösen. Nun droht in dem Land ohne aufgebaute demokratische Institutionen und ohne demokratische Tradition ein gefährliches Machtvakuum.ANDREJ IVANJI