: Schuften für den Erzbischof
Das Erzbistum Paderborn hat recherchieren lassen, wer während des Zweiten Weltkriegs für das Bistum Zwangsarbeit verrichten musste. Bisher wurden von 326 Opfern nur 27 entschädigt
AUS PADERBORN KATHARINA HEIMEIER
Mehr als 50 Jahre hat es gedauert bis die Polin Aneela Molek für das entschädigt wurde, was man ihr im Februar 1943 angetan hat. Als die 18-Jährige damals nach dem Hochamt aus der Kirche trat, geriet sie in eine Razzia von Nationalsozialisten. „Sie fassten mich, meine Schwester und meinen Bruder. Sie brachten uns zum Zug. Ich weiß nicht, wie viele wir waren und wie lange der Zug fuhr“, schreibt sie im Juni 2002 in einem Brief an das Erzbistum Paderborn.
Aneela Molek wurde ins Marienkrankenhaus nach Hemer in der Nähe von Münster gebracht, ein katholisches Krankenhaus, in dessen Wäscherei sie zunächst arbeitete. „Das war eine sehr schwere Arbeit. Ich hatte keine Schuhe und musste barfuß über den Betonboden laufen“, schreibt sie mehr als 50 Jahre später. Ihre Gelenke entzündeten sich und sie musste wochenlang selbst im Krankenhaus liegen. Nach ihrer Entlassung konnte sie auf der Station arbeiten, Betten machen und den Patienten Medizin reichen.
Aneela Molek lebt inzwischen wieder in ihrer Heimat. Sie ist eine von 340 Zwangsarbeitern, die zwischen 1939 und 1945 in kirchlichen Einrichtungen im Erzbistum Paderborn arbeiteten, wie eine Kommission jetzt berichtete. Die Kirche beschäftigte im Zweiten Weltkrieg ausländische Arbeitskräfte. Erst vor vier Jahren hat das Erzbistum Paderborn angefangen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Über die Rolle von Priestern und Ordensschwestern im Nationalsozialismus hat die Kirche lange Zeit beschämt geschwiegen.
326 Menschen hat das Erzbistum Paderborn als entschädigungsberechtigt anerkannt. Sie waren nach den Recherchen der Kommission überwiegend in Krankenhäusern und Heilanstalten beschäftigt. Aber auch das Priesterseminar Leoninum in Paderborn und das Mutterhaus der Schwestern der Christlichen Liebe ließen sich vom Arbeitsamt Zwangsarbeiter vermitteln, als die Arbeitskräfte im Verlauf des Krieges knapp wurden. Die Zwangsarbeiter kamen aus zwölf europäischen Staaten. Osteuropäer, vor allem Polen, Russen, Ukrainer, bildeten mit 64,8 Prozent die stärkste Gruppe. Im Erzbistum Paderborn wurden Zwangsarbeiter in 65 kirchlichen Einrichtungen an 37 Orten beschäftigt. Schwerpunkte waren Dortmund, Herne, Hagen und Paderborn.
Bisher haben nur 27 von ihnen auch tatsächlich 2.500 Euro aus dem Fonds bekommen, den die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 2000 eingerichtet hat. Damit liegt Paderborn unter dem Bundesdurchschnitt. 4.650 ehemalige Zwangsarbeiter haben bundesweit einen Anspruch auf Entschädigung aus dem 2,5 Millionen-Euro-Fonds. 559 von ihnen haben das Geld bereits bekommen. Ulrich Wagener von der Kommission für kirchliche Zeitgeschichte im Erzbistum Paderborn erklärt die schlechte Quote für Paderborn so: „Das hängt mit der unterschiedlichen Quellenlage in den Bistümern zusammen.“ Die Suche nach den Namen der Zwangsarbeiter sei ein schwieriges Puzzlespiel gewesen. „Die Dokumente waren durchweg nicht mit Schreibmaschine, sondern handschriftlich geschrieben.“ Oft sogar in der alten Sütterlinschrift. „Glücklichweise können wir die noch lesen“, bemerkte Wagener. Viele wichtige Dokumente seien auch routinemäßig vernichtet worden – „man war wohl nicht gewitzt genug, um zu erkennen, dass die Akten noch mal wichtig werden würden“, sagte Wagener. Zudem den sei es in manchen Fällen schwierig zu klären gewesen, ob die vermeintlichen Zwangsarbeiter tatsächlich für die Kirche gearbeitet, oder nur in einem Kirchengebäude gewohnt hätten.
Nach vier Jahren haben die Forscher das Puzzle jetzt größtenteils zusammen gesetzt. Jetzt stehen sie vor einem Wust von Zahlen, die Menschen wie Aneela Molek nicht gerecht zu werden scheinen. Die Ergebnisse sollen 2005 in eine Dokumentation für die 27 deutschen Diözesen einfließen. Das Erzbistum will außerdem eine eigene Schrift herausgeben, in der es auch um Einzelschicksale gehen soll.