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Archiv-Artikel

„Formeln verkaufen sich besser“

Wenn sich mit stillen Bildern die Lokomotive des Denkens langsam in Bewegung setzt: Der Regisseur Heinz Emigholz über Hardcore-Dokumentarismus, falsch verstandene US-Moderne und schwule Architektur in seinem Film „Goff in der Wüste“

Interview HARALD FRICKE

taz: Herr Emigholz, Ihr Film „Goff in der Wüste“ zeigt in einer fast zweistündigen Bilderstrecke ohne jeden Kommentar alle Häuser, die der US-Architekt Bruce Goff gebaut hat. Das ist ungewöhnlich in einem Genre, das sonst auf Homestorys vom Reißbrettentwurf bis zum Stress der Poliere auf dem Bau setzt. Was reizt Sie an gefilmter Architektur?

Heinz Emigholz: Die Gebäude sollen durch ihre verschärfte Präsenz im Film selbst etwas erzählen. Man soll die Räume erfahren können, ohne dass sie von einer Off-Stimme erklärt oder bewertet werden, wie in diesen Architektur-Features bei Arte & Co üblich – durch Musik, die zeichnenden Hände des Architekten, seine Spaziergänge durchs Areal und diese ganze Palette dramaturgischer Bedeutungszuweisungen, die vom Real Thing ablenken.

Das hört sich nach ziemlich strengem Konzept an – im Gegensatz zu den oft surrealen, traumhaft mit Ornamenten verzierten Häusern von Goff.

Ich mache Hardcore-Dokumentationen. Ich will nur etwas zeigen, aber so, dass man darüber ins Meditieren kommen kann. Im Fall von Goff zeige ich auch etwas, was bisher in der so genannten Architekturgeschichte, die es ja genauso wenig gibt wie „die Filmgeschichte“, sträflich übergangen wurde. Die Bauwerke erscheinen im Film in der Chronologie ihrer Entstehung, und so erzählen sie auch etwas über Bruce Goff, seine Entwicklung und seine Themen. Sie bilden in diesem Sinne seine Autobiografie.

Als Leben in Standbildern?

Die Bilder stehen nicht still: Jedes zeigt eine Dauer von Zeit an einem bestimmten Ort, kombiniert mit dem Originalton dieser Orte. Und wenn es nur die Luft ist, die sich bewegt, die Orte leben. Mich reizt, diese Architekturen zu filmen, weil für mich Kinematografie wiederum auch eine architektonische Tätigkeit ist, eine der zweiten Natur. Für meine eigene Arbeit sind die Bauwerke von Bruce Goff ein Traum. Er konnte in und mit Räumen denken, und ich kann es vielleicht auf und mit Flächen.

Kann man die Funktion von Bauten überhaupt mit filmischen Mitteln – also zweidimensional – erfassen?

Eher „dreidimensional“, aber unter Weglassung der „dritten“ und mit Hilfe der „vierten“ Dimension. Ich schichte mit einzelnen Einstellungen in der Zeit ein Gebirge auf, das sich in der Erinnerung zu einem Gesamteindruck verdichtet. Der Film hat ungefähr so viele Einstellungen wie ein Spielfilm, man merkt es nur nicht. Die Lokomotive des Denkens setzt sich beim Betrachten des Films langsam in Bewegung und ist dann nicht mehr zu stoppen. Die Vielfalt der von Goff gestalteten Räume hat mich in ihrer Komplexheit jedes Mal fast umgehauen, so dass sich die Entscheidungen, die dann beim Drehen zu treffen waren, durch die Objekte fast wie von selbst aufgedrängt haben. Ich hätte über jedes der im Film auftretenden Gebäude einen eigenen Film machen können, der ebenso lang geworden wäre wie der, den man sich jetzt ansehen kann.

„Goff in der Wüste“ braucht immerhin 110 Minuten, um die zweiundsechzig Bauten, die Goff zwischen 1922 und 1982 entworfen hat, in starren Einstellungen zu zeigen.

Es gibt einige Schwenks im Film, aber eben nur dann, wenn sie absolut notwendig sind. Ich ziehe es vor, die Bewegung im einzelnen Bild selbst stattfinden zu lassen und sie nicht durch die Bewegung des Bildes zu erzeugen. Was mich beim Machen der Serie „Photographie und jenseits“ interessiert, zu der auch „Goff in der Wüste“ gehört“, ist die Notwendigkeit, etwas zu zeigen. Zeigen kann man aber nur etwas, wenn es auf den Bildern auch zu erkennen ist.

Ist Ihr Film auch ein Gegenmodell zu DV-Ästhetik und anderen Dogma-Spielarten?

Das ist schon komisch, wenn gesagt wird, der Film sei nicht „filmisch“. Wobei mit „filmisch“ wohl gemeint ist, mit der Kamera wackelnd durch irgendwelche Räume zu eiern: Die Wackelkamera als Symbol des Lebendigen, das ist die letzte Schnulze!

Soll „Goff in der Wüste“ mit Blick auf Architektur selbst ein Monument sein?

Bei den Diskussionen nach den Aufführungen des Films jetzt auf der Tournee durch Deutschland verstärkt sich bei mir ein Eindruck: Man kann über Architektur so lange reden, wie man will; aber absolut unüberbietbar als Statement ist in diesem Zusammenhang ein 35-mm-Film in Dolby Digital, der in aller Ruhe zeigt, was Sache ist. Der ist nicht mehr wegzudiskutieren und wird so tatsächlich zu einem Monument. Eines, das das beredte Schweigen beendet. Denn in der Tat ist gegen Bruce Goff noch eine fanatische „Moderne“ am Wirken, ein Hass auf seine „Queer Space“-Architektur.

Was meinen Sie mit „Queer Space“?

Bruce Goff hat nie einen Hehl daraus gemacht und seinem offen schwulen Schüler und Mitarchitekten Bart Prince – die beiden haben Anfang der 80er-Jahre den Japanischen Pavillon des L.A. County Museums gebaut – auch mit auf den Weg gegeben, dass der Kontext seiner Homosexualität und seiner nicht gerade mainstreamartig verlaufenden Lebensgeschichte einen wesentlichen Anteil an seinen gestalterischen Entscheidungen hatte. Auf den Punkt gebracht heißt das: Vielfalt, Gleichberechtigung und Gleichzeitigkeit verschiedener gestalterischer Lösungen, unideologische Herangehensweisen, Komplexität, soziales Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, den Raum so zu denken, dass darin sehr verschiedenen Lebensentwürfe wirklich werden können. Das ist das Gegenteil von Generalismus, abstraktem Avantgardismus und Uniformität und löst tatsächlich immer noch Aggressionen aus.

Sie haben bereits einen Film über die Bankgebäude von Louis H. Sullivan gedreht. Ist Ihr Interesse auch eine Auseinandersetzung mit Amerika – Architektur als Spiegel der unbegrenzten Möglichkeiten?

Eher eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten bestimmter Architekturen als mit den „unbegrenzten“ von Amerika. Obwohl „Goff in der Wüste“ ganz sicher auch ein Dokumentarfilm über die USA im Jahre 2002 geworden ist. Die europäische Architekturmoderne, die in die USA ausgewandert ist und dort vielerorts die Lehre dominiert hat, hat eine große Arroganz gegenüber eigenständigen amerikanischen Entwicklungen bewiesen. Innovative Bauweisen, die ohne ideologischen Regelkanon auf die Bedingungen vor Ort und die Bedürfnisse der Bauherren eingegangen sind, wurden unterdrückt. Eine Formel lässt sich viel besser verkaufen, besonders wenn man sie durch geschmackspolizeiliche Maßnahmen abstützt. Die Art, wie die Bauhäusler Sullivans Credo „Form follows function“ durch Unverstand ins Gegenteil verkehrt haben, ist frappierend. Da macht es schon Spaß, sich sein Werk mal wieder genau anzusehen.

Könnten diese ästhetisch wunderbar durchkomponierten Häuser nicht auch Kulissen für Spielfilme abgeben?

Sicher, aber es ist mehr das Visionäre der Häuser, das dazu reizt. Sie projizieren etwas in die Landschaft hinein, was es zuvor noch nicht gegeben hat. Steven Spielberg wollte einen Teil von „Minority Report“ in Goffs 1979 errichtetem Al Struckus House bei Los Angeles drehen. Die Besitzer haben es dann nicht zugelassen. Wohl zu Recht, das Haus ist dafür zu klein und wäre bei den Dreharbeiten beschädigt worden. Der Plan, es im Studio nachzubauen, wurde dann nicht realisiert. Ich selbst werde eine Sequenz meines Spielfilms „Second Nature – Die Zweite Natur“ im Duncan House bei Cobden am Mississippi drehen. Das ist groß und aus Stein und passt genau zu meiner Story.