Geheimnis und Gewalt

Haben die vielen Wirbelstürme des Jahres 2004 etwas mit dem Treibhauseffekt zu tun? Weil ihnen immer noch verlässliche Daten fehlen, sind die Wissenschaftler ratlos

BERLIN taz ■ Seit 1995 haben sowohl Anzahl als auch Stärke der atlantischen Hurrikane im Vergleich zu den Vorjahren zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt die Hurricane Research Division an der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) in Florida. Für Forschungsdirektor Hugh Willoughby allerdings kein Grund zum Alarmismus: Nicht die Klimaerwärmung sei schuld, erklärte der Wissenschaftler dem Magazin geoscience, sondern ein natürlichen Zyklus, der von atlantischer Meeresströmung diktiert wird. Nach diesem Zyklus folgen auf etwa 20 aktivere Hurrikanjahre, 20 weniger aktive.

Doch die Wissenschaftler sind sich uneins. Am liebsten verweisen sie darauf, dass das komplexe Wettersystem der Erde noch nicht hinreichend entschlüsselt ist. Unstrittig ist, dass sich die globale Erderwärmung bemerkbar macht, etwa durch die Erwärmung der Ozeane. Untersuchungen haben ergeben, dass sich in den letzten 20 Jahren jene Gebiete um 15 Prozent ausweiteten, die zumindest zeitweilig eine Oberflächentemperatur von 27 Grad Celsius besitzen. Entstehen kann ein Hurrikan nur dort.

Wirbelsturmexperten gehen davon aus, dass sich mit jedem Grad, das die Weltmeere im Mittel wärmer werden, die maximale Windgeschwindigkeit tropischer Wirbelstürme um etwa elf Kilometer pro Stunde erhöht. Außerdem könnte die Hurrikansaison dadurch um mehrere Wochen verlängert werden. Faktoren, die angesichts der intensiven Wirbelsturmsaison 2004 auf den Klimawandel als Ursache hinweisen: Experten aus den USA rechnen mit 15 bis 20 Hurrikanen. „Ivan“ und „Jeanne“ sind Nummer zehn und elf.

Lennart Bengtsson, Forscher am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie, glaubt dagegen, dass auf lange Sicht die Anzahl der Hurrikane nicht zunehmen wird. Ihre Intensität indes schon. Die Hurrikanstärke ist v. a. vom Wasserdampfgehalt der Atmosphäre abhängig, begründet Bengtsson. Der wird durch den Treibhauseffekt zunehmen.

Vermutungen, Hinweise. Tatsächlich steckt die Wirbelsturmforschung noch in den Kinderschuhen. Hauptproblem ist dabei die Datenmenge. Es gibt nur wenige Wetterstationen auf dem Meer, und die Daten, die Satelliten liefern, sind für die Erforschung der Entstehungsgeschichte zu ungenau. Zudem haben Wirbelstürme die für die Wissenschaft unangenehme Eigenschaft, von ausgesprochen vielen Faktoren abhängig zu sein. Entsprechend schwierig ist das Erstellen von Berechnungsmodellen. Die recht erfolgreiche Arbeit der Warndienste täuscht eine Zuverlässigkeit vor, die längst nicht erreicht ist: Ihre kurzfristigen Prognosen stützen sich auf Satellitenbilder, die den Sturm schon zeigen. Die Ratlosigkeit, wie es zu seiner Entstehung kam, beschreibt der Orkan-Spezialist Kerry A. Emanue so: „Hurrikane sind von gewaltiger Schönheit und großem Geheimnis.“ NICK REIMER