Ganz praktisch, ganz verrückt, ganz ohne Theorie

Was herauskommen kann, wenn die Künste über sich selbst nachdenken: Das zeigt die New Yorker Wooster Group in der Performance „La Didione“

Begegnungen von Medien, Zeiten, Traditionen – in welcher Tonart, kann man bis zuletzt nicht genau sagen

„La Didone“ ist ein frühes Meisterstück der venezianischen Oper aus dem Jahr 1641. Komponiert hat es der Monteverdi-Schüler Piero Francesco Cavalli. „Terrore Nello Spazio“ ist ein Film des italienischen B-Movie-Stilisten Mario Bava aus dem Jahr 1965. Die Oper erzählt, frei nach Vergil, die Geschichte des Halbgotts Aeneas, der auf dem Weg von Troja nach Rom in Karthago dessen Königin Dido kennen und auch lieben lernt. Aeneas muss, um Rom zu gründen, wieder fort und treibt Dido so bei Vergil ganz, bei Cavalli nur fast in den Selbstmord. Der Film erzählt von zwei Raumschiffen, die auf einem fremden Planeten landen, mit Zombies konfrontiert und zuletzt alle selbst zu Zombies von Gnaden der auf dem Planeten lebenden Aliens werden. Am Ende wird unter denen, die fliehen können, kein menschliches Wesen mehr sein.

Wie das eine, die Barockoper, zum anderen, dem SciFi- und Horrorfilm, passt – das ist die Frage, die die Performance „La Didone“ der New Yorker Wooster Group an- und umtreibt. Die Wooster Group, technikaffiner Vorreiter des postdramatischen Theaters seit drei Jahrzehnten, spielt in ihrer Performance im St. Ann’s Warehouse in Brooklyn tatsächlich beides, Oper und Film. Für den Opernpart haben sie sich mit professionellen SängerInnen verstärkt, Hai-Ting Chinn als Dido ist dabei ganz besonders hinreißend. Sie spielen beides, heißt: auf einer typischen, räumlich genau abgezirkelten Wooster-Group-Bühne laufen, zwischen vier Monitoren, verschiebbaren Wänden, zu Musik-Live-Begleitung mit minimalen Requisiten beide Handlungen ab: die Oper, der Film. Gleichzeitig, in gewisser Weise ganz in der Manier eines Split-Screen-Films, in dem die Leinwand durch einen Riss in zwei Hälften geteilt wird. Nur dass es in „La Didone“ diesen Riss gar nicht gibt. Die Bühne ist – als wäre sie ein Gemälde von Francis Bacon – ein einziger, wenngleich vielfach faltbarer, biegbarer, unterschiedlichen Kräften ausgesetzter Raum. Aufeinandertreffen dort nun: Barock-Hochkultur und italienischer Edel-Sleaze. Sie fangen auf offener Bühne was miteinander an, die durchweg spannende Frage ist und bleibt aber: was? Kostümiert sind alle Spielerinnen und Sänger in silbernen Weltraumkostümen, also ganz à la Bava. Der Film selbst läuft, teils gedoppelt, teils manipuliert, teils im Bild weggeblendet, auf zwei Monitoren im Hintergrund. Die Wooster-Truppe, seit Jahren nun schon kapriziert aufs extrem präzise choreografierte Doppeln bewegter Bilder, spielt ihn nach. Das heißt: Die DarstellerInnen imitieren einzelne Szenen in Sprache und Gesten. Kamerabewegungen stellen sie nach durchs Verschieben der Körper, der Dinge, durch Tischerücken im Raum. Genialer Zug!

Teils ist die Oper im Vordergrund, teils der Film. Textzeilen aus beiden Werken stehen in englischen Übertiteln unvermittelt nebeneinander. Handlungslinien kommen sich nahe (Ankunft, Jagd, Flucht) und bleiben sich fern. Die Darsteller sind mal Figuren im Film, mal in der Oper, mal irgendwo zwischendrin. In welcher Tonart diese Begegnung von Medien, Zeiten, Traditionen gespielt wird, ist bis zuletzt nicht genau zu sagen. Eher ist es so, dass die verschiedenen Tonarten interferieren und dass es vor allem um eins geht: die mal komischen, mal bizarren, mal verblüffenden Wirkungen dieser Interferenzen.

„La Didone“ ist das, was im besten Falle herauskommt, wenn die Künste über sich selbst ins Nachdenken geraten. Aber ganz praktisch, ganz detailversessen, ganz schwindelerregend, ganz verrückt, ganz ohne ausdrückliche Theorie. Man weiß beim Zusehen kaum, wo einem der Kopf steht, und es ist ein berauschendes Gefühl. Bis Ende April ist die Produktion noch in New York zu sehen. Es gibt – leider – noch keinen Kooperationspartner, der sie nach Deutschland eingeladen hat. EKKEHARD KNÖRER