„Was derzeit passiert, ist nichts Besonderes“

Vier Berliner Kaufhäuser des Karstadt-Konzerns stehen auf der Schließliste – Moabit, Schöneberg, Tegel, Neukölln. Spätfolgen der Konkurrenz auf der grünen Wiese, diagnostiziert der Regional- und Stadtökonom Dietrich Henckel

taz: Was bedeutet diese Schließungsorgie für Berlins Kieze?

Dietrich Henckel: Was derzeit passiert, ist nichts Besonderes. Der Einzelhandel verändert sich, Konzentrationen nehmen zu, und die Nebenzentren stehen unter Druck – wegen der Konkurrenz auf der grünen Wiese und durch die Innenstadt.

Teilen Sie die Befürchtung des CDU-Abgeordneten Stephan Tromp, dass die Schließung einzelner Karstadt-Standorte eine Kettenreaktion auslöst?

Das halte ich für übertrieben. Das große Kaufhaussterben wird es nicht geben. Wir werden noch einige Zeit in den Warenhäusern shoppen gehen. Wer mit offenen Augen durch Berlin geht, wird sicherlich allerorts erhebliche Leerstände feststellen. Das trifft die Nebenzentren im besonderen Maße. Aber selbst in den Ku’damm-Seitenstraßen ist der Leerstand zu beobachten. Die Dimension wirkt nur dadurch größer, weil es mit Karstadt einen Großkonzern trifft.

Das Karstadt-Haus in der Turmstraße ist das einzige große Kaufhaus in Moabit. Ist es sinnvoll, solche Einkaufsknotenpunkte zu schließen?

Es sind eben nicht die großen Kaufhäuser, die verkauft werden sollen, sondern vor allem die kleinen. Karstadt am Hermannplatz beispielsweise soll erhalten bleiben. Das ist sinnvoll, denn Kreuzberg-Neukölln hat eine halbe Million Einwohner und ist damit vergleichbar mit anderen deutschen Großstädten. Und die haben ja noch ihre Kaufhäuser.

Die verbleibenden Kaufhäuser sollen sich stärker auf Lifestyle-Segmente konzentrieren anstatt mit Billiganbietern zu konkurrieren, sagt Karstadtchef Christoph Achenbach. Geht der Trend zum Luxus?

Es gibt ihn, aber es gibt auch einen Trend in die entgegengesetzte Richtung.

Zum Beispiel das Hertie-Haus in Neukölln, das seine Kunden mit Ramschwaren und türkischen Brautmoden lockt. Kann denn ein solches standortorientiertes Angebot die Kaufhäuser retten?

Vorstellbar ist das. Eine standortorientierte Strategie kann aber auch der Ausrichtung hin zu mehr Qualität zuwiderlaufen. Die Frage ist: Welches Image will man und was bedeutet es für den Konzern.

Sollte er sich auf Edelkaufhäuser konzentrieren?

Das KaDeWe ist ein singuläres Ereignis, sowohl was die Größenordnung als auch was den Typ angeht. Es eignet sich daher nicht als systematische Strategie.

Das Kaufhaus galt lange Zeit als Symbol für den Gleichheitsanspruch der Nachkriegsgesellschaft. Alles für alle. Inwieweit sind die modernen Shopping-Center Abbild einer sich spaltenden Gesellschaft?

Das Shopping-Center ist eine andere Form des Warenhauses mit einem breiten Warensortiment unterschiedlicher Anbieter. Diese Shop-in-Shops sind durchaus nicht alle polarisiert. Sie finden darin auch billige Ketten, zum Beispiel im Bereich Bekleidung oder Lebensmittel. Ich würde die Einkaufszentren deshalb nicht mit einem Trend zur Segregation gleichsetzen.

Berlin ist nach Hamburg der wichtigste Karstadt-Standort. Was bedeuten die Sanierungspläne für den Einzelhandel?

Das ist schwierig zu beantworten. Berlin ist ein Konglomerat vieler Großstädte. Deshalb gibt es sicherlich an einigen Stellen ein Potenzial für ein oder zwei solcher Warenhäuser. Es hängt davon ab, wie sich der Einzelhandel weiterentwickelt und welche Formen sich dauerhaft durchsetzen. Derzeit befinden sich die Fachmärkte, Discounter und Factory-Outlets im Aufschwung. Von deren Attraktivität und Konkurrenzfähigkeit wird es abhängen, wie sich Berlins Einzelhandel weiterentwickelt.

INTERVIEW: I. KURSCHATT