piwik no script img

Archiv-Artikel

Der dritte schwache Prinz

Rudolf Scharping verzichtet auf eine neue Kandidatur als Parteivize. Auch ist er besorgt über den Zustand der SPD. Manch Parteifreund ist besorgt über den Zustand von Scharping. Eine Würdigung

von BETTINA GAUS

Rudolf Scharping ist besorgt über den Zustand der SPD. Manche seiner Parteifreunde sind besorgt über den Zustand von Rudolf Scharping. Gute Gründe haben beide Seiten für ihre Gefühlslage. Zum dritten Mal in Folge endet die politische Laufbahn eines ehemaligen SPD-Vorsitzenden unter Umständen, die Außenstehende zwischen Schadenfreude, Beklemmung und Ratlosigkeit schwanken lassen.

Alle einstigen Hoffnungsträger sind an Umständen gescheitert, die vor allem in ihrer jeweiligen Persönlichkeit begründet zu liegen scheinen. Aber waren es nicht Vertreter ihrer Generation, die das Private für politisch erklärt hatten? Offenbar zu Recht. Einmal: kann vorkommen. Zweimal: Pech. Wenn sich etwas jedoch dreimal hintereinander ereignet, dann ist das kein Zufall mehr. Drei unfähige Parteivorsitzende zeugen nicht von einer Krise einzelner Personen. Sondern von einer Krise ihrer Partei.

Björn Engholm sollte nach der Barschel-Affäre mit der Demonstration seiner persönlichen Integrität zum Symbol für einen Neubeginn stilisiert werden. Er musste gehen, als sich herausstellte, dass er von der Affäre früher als behauptet Kenntnis erhalten hatte. Oskar Lafontaine konnte es nicht ertragen, dass die von ihm geführte Partei die Macht zurückeroberte und dennoch ein anderer als er die Richtlinien der Politik bestimmte. Und Rudolf Scharping? Sein Abstieg hat sich langsamer und quälender vollzogen.

Öffentliche Turteleien, anrüchige Geschäftsbeziehungen mit einem Lobbyisten und der erzwungene Abschied aus dem Kabinett waren die – scheinbaren – Tiefpunkte einer einstmals glänzenden Karriere. Der ehemalige Ministerpräsident war 1993 von den Mitgliedern seiner Partei mittels Befragung auf den Thron des Vorsitzenden gehoben worden. Gibt es eine höhere Weihe?

Scharping schien all das zu verkörpern, wonach die Sozialdemokratie eine – bis heute unerfüllte – Sehnsucht hegt: ein soziales Gewissen, eine definierbare Richtung, politischen Sachverstand, die Fähigkeit zur Integration von Flügeln, die immer weiter auseinander streben. Verwehte Blütenträume.

Auf den Gipfelsturm folgte eine fast beispiellose Kette von Demütigungen. Glücklos als Kanzlerkandidat, weggepuscht als Parteivorsitzender, weggelobt aus dem Amt des Fraktionschefs. Ins ungeliebte Verteidigungsministerium, wo es Rudolf Scharping gelang, sich Feinde in allen politischen Lagern zu machen. Die einen konnten ihm nicht verzeihen, dass er die notwendigen Mittel für die Strukturreform der Bundeswehr nicht beschaffen konnte. Die anderen vergaßen ihm die Halbwahrheiten und Manipulationsversuche nicht, mittels deren er den – völkerrechtswidrigen – Kosovokrieg zu legitimieren suchte. Als er geschasst wurde, trauerte ihm kaum noch jemand nach.

Mehr als ein Jahr lang schien es keinen Grund zu geben, über Rudolf Scharping zu schreiben. Wenn der Tiefpunkt einer Karriere erreicht ist, dann beinhaltet jede öffentliche Beschäftigung mit der Person ein unappetitliches Nachtreten, frei von Erbarmen. Der Tiefpunkt? Rudolf Scharping hat gezeigt, dass es immer noch ein bisschen weiter bergab gehen kann. So muss denn doch noch einmal über ihn geschrieben werden.

Die öffentliche Erklärung am Montag in der Bild-Zeitung, er wolle aus inhaltlichen Gründen das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden niederlegen, ist mitleiderregend. Scharping wäre in keinem Falle mehr gewählt worden, was immer er vom Kurs seiner Partei auch halten mag. Künftig taugt er nur noch als nützlicher Idiot der Gegenseite. Genau wie Oskar Lafontaine. „Ich kann unseren Zielen besser dienen, wenn ich nicht Mitglied dieser Parteiführung bin“: so begründet der scheidende SPD-Vize seinen – ja, was eigentlich? Soll man es wirklich „Verzicht“ nennen? Wie auch immer: Er hat gewisslich Recht. Was immer die Ziele sein mögen. Aber was sind die Ziele? Der derzeitige SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder, der dieses Amt nie anstrebte, ist offenbar nicht willens, diese Ziele zu definieren.

Vielleicht ist es gerade das, was ihm sein politisches Überleben – nach innen – derzeit sichert. Umso schlimmer. Denn seine Partei bleibt in Not. Ratlos. Die SPD wird dauerhaft um eine schmerzliche Selbstanalyse nicht herumkommen. Vielleicht hat Rudolf Scharping ihr wenigstens einen Dienst bezeugt, indem er sich als dritter, schwacher Prinz erwies: sich dieser Erkenntnis nicht mehr verweigern zu können. Im Märchen gibt es selten einen vierten. Die SPD wird einen brauchen.

Schröder? Ach was.