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Archiv-Artikel

Marzipanrasentorte zum Dessert

617 Tage vor der Weltmeisterschaft bereitet sich der klamme Karstadt-Konzern mit einem offiziellen „FIFA WM 2006 Shop“ in Hamburg auf das große Fußballfest vor. Dabei als Dauershopper engagiert: Münzschwenker Uwe Seeler

Irgendwann fällt auch Verkaufstalent Seeler nichts mehr zu den WM-Münzen ein

aus Hamburg Christina Stefanescu und Philip Sauerbaum

Als Uwe Seeler noch aktiv Fußball spielte, war Merchandising kein Thema, da ging es um den Sport. 32 Jahre nach Seelers letztem Spiel „muss man ordentlich Gas geben“, wie der Ehrenspielführer sagt, um den Fan schon zwei Jahre vor einer WM an die Kaufhauskassen zu locken. Deshalb stehen sechs Herren in gut sitzenden Anzügen hinter einer mit Rasen bedruckten Theke. Im zweiten Stock des Karstadt-Sporthauses in der Hamburger Mönckebergstraße schwärmen sie von der trendigen Textilkollektion, die im neuen, offiziellen FIFA WM 2006 Shop auf Fußballfans aus aller Welt wartet: Der „Hingucker im Hamburger Nachtleben“, orakelt es aus der Karstadt-Vorstandsetage.

DSF-Moderator Jörg Dahlmann möchte den Ball jetzt aber von rechts nach links außen zu WM-Botschafter Seeler spielen. „Ein guter Spieler spielt alles“, kommentiert der ehemalige Rechtsaußen den Kurzpass über den vier Meter langen Ausschank. Seeler steht neben Karstadt-Direktor Gert Hügler und bietet wie ein TV-Shop-Moderator die „offiziellen deutschen Silber-Gedenkmünzen der FIFA Fußball-WM Deutschland 2006“ feil. Für nur zehn Euro.

Moderator Dahlmann im sommerlich-beigen Zweiteiler begrüßt außerdem einen in Hamburg bisher unbekannten „Sportsenator Dr. Hans-Jürgen Schulke“, der eigentlich nur der Leiter des Sportamts ist. Kurt Krägler, Geschäftsführer des Organisationskomitees, brüstet sich wie beim fröhlichen Plausch am Stammtisch mit der tollen Organisation der Weltmeisterschaft. „Wir könnten heute anfangen“, sagt er. Seeler fordert schon mal ein „WM-Spiel zur Probe“ und träumt von einer „sensationellen, schönen, temperamentvollen WM“. Er ist überzeugt, dass die Hamburger zu den Brasilianern der Deutschen geworden sind. Und für Sportamtsleiter Schulke überstrahlt die Weltmeisterschaft sowieso alles.

Sie überstrahlt bei der Pressekonferenz auch die Sorgen der Mitarbeiter, die in den offziellen WM-T-Shirts mit dem offiziellen Karstadt-Lächeln die offizielle Textilkollektion anpreisen, sich aber nicht äußern möchten zu ihrem Arbeitgeber, der sich von knapp der Hälfte seiner Kaufhäuser trennen will. „Ich habe dazu nichts zu sagen“, lächelt die Kassiererin. Auch dem Bespanner aus der Tennisabteilung ist die ganze Sache einfach zu heiß. Nur Karstadt-Geschäftsführer Werner von Appen gibt zu, dass die Eröffnung vor dem Hintergrund der aktuellen Konzern-Situation doch „etwas skurril“ anmute. „Die Mö schafft‘s bis 2006“, glaubt er allerdings an den Standort in der Hamburger Innenstadt. Während die Beschäftigten in Langenhorn und Eppendorf um ihre Zukunft bangen, genießen die Herren der Geschäftsleitung mit den Verantwortlichen von HSV und SC Poppenbüttel die Lachsfilets in Sauce Hollandaise. Zum Dessert gibt es die Karstadt-FIFA-WM-2006-Marzipanrasen-Torte.

Irgendwann fällt auch Verkaufstalent Seeler nichts mehr zu den WM-Münzen ein, und Moderator Dahlmann kann den Ehrengast der Pressekonferenz ankündigen. Der offizielle FIFA-WM-Pokal wird zu den Klängen der offiziellen WM-Hymne von einem 120-Kilo-Security-Mann im offiziellen orangenen WM-2006-Security-T-Shirt feierlich zur Theke getragen. Begleitet wird die golden glänzende Weltmeisterschaftstrophäe von der viermaligen Fußball-Nationalspielerin Britta Carlson. Die trägt ein Trikot aus der offiziellen WM-Kollektion und lächelt nett in die Kamera. „Mein erstes Panini-Album hatte ich 1982, als ich vier war“, erzählt sie. Jetzt sei sie sehr stolz, den Pokal übergeben zu dürfen. An wen, fragt man sich. Ist etwa der Pokal die Rettung für den angeschlagenen Warenhaus-Konzern?

Bis November werden neben den Shops in Berlin, München und Hamburg noch neun weitere in den Austragungsorten der Fußball-WM eröffnet. Auch die Touristen in Frankfurt, Gelsenkirchen und Nürnberg können sich dann mit offiziellen Fanartikeln vom Schlüsselanhänger bis zum Stirnband, vom Bleistift bis zum WM-Ball versorgen.

„Die Leute sind alle heiß“, freut sich Shopper Seeler und weist, weil keiner der Anwesenden eine Frage stellen möchte, nochmal auf die 10-Euro-Münzen hin. „Die kann man zeigen und sagen: ‚Ich war dabei.‘ Das ist doch eine schöne Erinnerung.“