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Schatten hinter Gardinen

Menschen kommen so gut wie gar nicht vor: Peter Bialobrzeski hat asiatische Megacities fotografiert. Die fast surrealen Resultate zeigt derzeit das Museum der Arbeit in der Schau Neon Tigers

von Karin Liebe

Hamburg ist ein Dorf. Wer mit dem Flugzeug aus Hongkong oder Shanghai kommt, über dem grün bewachsenen Alstertal auf Fuhlsbüttel zuschwebt und mit dem Taxi Richtung Innenstadt an den Jugendstilhäusern Eppendorfs vorbeifährt, der kann nur staunen. Über diese Ruhe, diese vielen Bäume, diese kleinen, verspielten Häuser in einer Millionenstadt wie Hamburg.

Die asiatischen Metropolen sind ganz anders. Peter Bialobrzeski, Professor für Fotografie an der HfK Bremen, zeigt das in seiner Ausstellung im Museum der Arbeit auf so eindringliche wie bedrückende Weise. Bangkok und Hongkong, Shanghai und Shenzhen, Jakarta und Kuala Lumpur, diese gigantisch wachsenden Städte in China und den so genannten Tigerstaaten, verschwimmen bei ihm zu einem unterschiedslosen Moloch aus Hochhaussiedlungen, horizontal durchzogen von Stadtautobahnen auf Stelzen.

Eine Anstrengung fürs Auge sind diese 35 großformatigen Farbfotografien, allesamt aufgenommen im Zwielicht der Abenddämmerung. Trotz der Pastelltöne und des zumeist fahlgrauen Himmels strahlen sie in der Reihung Kälte und Unbarmherzigkeit aus. Formatfüllende Wohnsilos wie der in Bangkok schlucken jeden Anflug von Individualität der Bewohner. Klimaanlagen kleben wie Astlöcher an der Fassade, Wäsche hängt über den Fensterbrüstungen der teils erleuchteten Wohnungen, doch kein Bewohner ist mehr als ein Schatten hinter den Vorhängen. Und selbst wenn Bialobrzeski Menschengruppen zu Füßen der Hochhäuser ablichtet, verschwimmen diese durch die lange Belichtungszeit zu geistergleichen Schemen ohne die geringste persönliche Ausstrahlung – egal ob Basketballspieler in Hongkong oder fliegende Händler in Bangkok, die unter riesigen Betonpfeilern einer Hochstraße ihre Ware auf dem Boden feilbieten.

Es sind technisch perfekte, emotional bedrückende Zeugnisse von Enge und Gleichförmigkeit. Auch die Natur ist gezähmt. Sie kommt nur noch in Form abgezirkelter Miniaturgrünflächen vor oder virtuell auf Plakatwänden. Vor einem See, in dem sich dschungelgrüne Bäume spiegeln, hebt eine Frau mit seidigem schwarzem Haar den Blick strahlend in den Himmel: Diese kitschig-bunte Werbung für ein Shampoo hängt neben dem Plakat einer androidengleichen Sciencefiction-Gestalt über einer Fußgängerbrücke in Shanghai – und karikiert in Bonbonfarben den Preis des wirtschaftlichen und städtebaulichen Wachstums in den asiatischen Megacities.

Mo 13–21, Di–Sa 10–17, So 10–18 Uhr, Museum der Arbeit, Wiesendamm 3; bis 28.11.

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