: Vorsichtiges Lavieren
Mit großer Detailgenauigkeit, vor allem in den Dialogen, zeichnet Stefan Krohmer mit „Sie haben Knut“ ein Porträt der Politszene der 80er-Jahre. Heute hat der Film im 3001 Premiere
von CHRISTIANE MÜLLER LOBECK
Es ist nach eigenem Bekunden das Milieu ihrer Eltern, das Stefan Krohmer und sein Drehbuchautor Daniel Nocke mit Sie haben Knut nachzeichnen. Auf engstem Raum, in einer Skihütte in Tirol, implodieren die Lebensentwürfe einer Gruppe von Friedensbewegten des Jahres 1983. Ähnlich wie schon Ang Lee in Der Eissturm oder Lukas Moodysson in Zusammen! für die Dekade zuvor nutzen die beiden immer wieder die Perspektive der Kinder, um die Ideale der Erwachsenen auf ihre Realitätstauglichkeit hin zu überprüfen.
Das Versprechen der Weite und der Ruhe winterlicher Berge – von Kameramann Benedict Neuenfels (Bunte Hunde, Felsen) in einigen Sequenzen Sehnsüchte weckend ins Bild gesetzt – hat Nadja (Valerie Koch) und Ingo (Hans-Jochen Wagner) bewegt, dort nochmal alles auf eine Karte zu setzen. Es sollen Ferien werden, in denen sie ihre marode Beziehung wieder in den Griff bekommen. Doch ausgehandelt werden muss das in der schummerigen Enge der Hütte. Und wenn Ingo am Küchentisch zu Nadja sagt, er wolle „den Wettkampf, wer die meisten Affären hat“, beenden, die „offene Beziehung aufkündigen“, dann gibt man den beiden schon dieser Enge wegen keine großen Chancen. Als dann noch das Volleyballteam von Nadjas politaktivem Bruder Knut samt Nachwuchs unangekündigt in der Hütte einfällt, ist das Drama vorprogrammiert. „Ich bin gern unter Leuten, das wird bestimmt eine schöne Zeit für uns“, versucht Nadja vergeblich, den aufgebrachten Ingo zu beruhigen.
An der Frage, wie mit der mutmaßlichen Verhaftung von Knut umzugehen sei, wird sich der zweite Konflikt des Films entzünden. Abreisen oder Dableiben, Skifahren und Amüsieren oder Solidaritätsarbeit aus der Ferne, Diskutieren oder Schäkern: Es gibt so viele Möglichkeiten wie wenig später Fraktionen und durcheinander gewürfelte Paare in der Gruppe. Den Tonfall der Szene hat Sie haben Knut aufs Genauste getroffen. Nocke selbst spielt den Politobermacker Wolfgang, der Lachen in so einer Situation schon für Verrat hält. Spätestens wenn er „‘tschuldigung, Nadja, Veto“ sagt, dürften auch die letzten Zweifler den Recherchen des Film voll vertrauen. Die große historische Detailgenauigkeit von Krohmer und Nocke spiegelt sich weniger in der Ausstattung oder im Soundtrack des Films als in den zahlreichen Dialogen. Das kann nicht nur als mutiger Schritt gelten in der deutschen Kinolandschaft, wo die Darstellung von Zeitkolorit sich oft in emblematischen Inszenierungen erschöpft. Es ist auch eine Entscheidung dafür, dem 80er-Jahre-Phänomen des Ausdiskutierens gerecht zu werden.
Selbstredend sind die Wortgefechte und Pärchenstreits in der Gruppe für den einen oder anderen Lacher gut. Es wäre aber schöner gewesen, wenn der Film weniger darauf gesetzt hätte, dass über die Leute gelacht wird als mit ihnen, wie das Moodysson mit Zusammen! vorgemacht hat. Den durchaus vergleichbaren Peinlichkeitsfaktor seiner 70er-Jahre-Hippie-WG hat der nie derartig ausgespielt, dass mit dem Kind der Äußerlichkeiten gleich auch das Bad der Überzeugungen ausgeschüttet worden wäre.
Es sind nicht viele Lacher in Sie haben Knut, die auf Kosten der Figuren gehen. Aber es genügen schon die wenigen, um die über weite Strecken seismographische Überprüfung immer wieder in der Vergackeierung stranden zu lassen. Trotzdem: Allzu einfach macht es sich der Film nicht mit dem historischen Urteil.
Premiere: heute, 20 Uhr, 3001 (mit Stefan Krohmer, Daniel Nocke, Valerie Koch, Nina Weniger und Stephan Hornung)