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Archiv-Artikel

„Ich liebe Special Effects“

Die Filme Apichatpong Weerasethakuls gehören zum Schönsten, was das Gegenwartskino zu bieten hat. Eine umfangreiche Retrospektive macht jetzt in Wien, München und Berlin Station. Ein Gespräch

APICHATPONG WEERASETHAKUL

Der Thailänder Apichatpong Weerasethakul, 38, gehört gegenwärtig zu den wichtigsten Avantgarderegisseuren des Weltkinos. Filme wie „Mysterious Object at Noon“ (2000), „Blissfully Yours“ (2002), „Syndromes and a Century“ (2007) und „Tropical Malady“ (2004), für den er den Preis der Jury beim Filmfestival in Cannes gewann, polarisieren das Publikum und die Kritik, da sie sich traditionellen narrativen Strukturen verweigern. Weerasethakul hat in Chicago Experimentalfilm studiert und sich intensiv mit dem US-amerikanischen Avantgardefilm beschäftigt; das ist seiner eigenen Arbeit anzumerken. Sie konzentriert sich auf das, was zu sehen und zu hören ist: die reiche Vegetation eines Dschungels, das Wasserspiel in einem Bach, den schüchternen Austausch von zwei frisch Verliebten. Im Münchner Haus der Kunst ist zurzeit eine Filminstallation von ihm zu sehen (siehe taz vom 21. März). Von heute an wird eine komplette Retrospektive seiner Filme im Wiener Filmmuseum zu sehen sein, anschließend wird die Schau auch im Münchner Filmmuseum (3. bis 15. April) und dem Berliner Arsenal (1. bis 15. April) gezeigt. Zudem erscheint eine Aufsatz- und Interviewsammlung zu dem Regisseur in englischer Sprache: „Apichatpong Weerasethakul“, hrsg. von James Quandt, 258 Seiten mit zahlr. Abb., Synema Publikationen, Wien 2009, 20 Euro. TILMAN BAUMGÄRTEL

INTERVIEW TILMAN BAUMGÄRTEL

taz: Apichatpong Weerasethakul, herzlichen Glückwunsch zur ersten großangelegten Retrospektive. Wie fühlt man sich, wenn man so geehrt wird, obwohl man noch nicht mal vierzig ist?

Apichatpong Weerasethakul: Oh, ich fühle mich alt. (lacht) Ich hatte aber schon mal eine Retrospektive in Japan. Die war nicht so vollständig. Diese hier enthält wirklich so gut wie alle meine Arbeiten – außer ein paar, für die ich mich heute schäme. Ich glaube, dass diese Retrospektive gut für mich ist, weil es immer schwerer wird, für meine Filme Mittel zu finden. Ich stehe an einer Art Wegscheide. Ich muss mich entscheiden, wie es weitergehen soll, ob ich weiter so produktiv sein will, wie ich es bisher war. Ich habe noch nie alle meine Arbeiten am Stück gesehen, darum ist das eine Gelegenheit für mich, zurückzuschauen und daraus entweder Bestätigung zu ziehen oder mich zu fragen, ob es das alles wert ist.

Haben Sie daran denn irgendwelche Zweifel?

Ununterbrochen! Erstens ist das, was ich mache, ein finanzieller Albtraum. Es wird immer schwerer, solche Filme wie meine zu machen. Und zweitens ist es schwierig, wenn man immer nach seinem Publikum suchen muss, besonders weil der größte Teil dieses Publikums nicht in Thailand ist. Natürlich kriegt man da manchmal Selbstzweifel: Warum mache ich das eigentlich alles?

Ich bin überrascht, dass ein Regisseur mit so einem Prestige wie Sie Probleme hat, Geld aufzutreiben.

Die Produzenten sehen das anders. Selbst kommerzielle Filme sind nicht mehr so einfach zu finanzieren. Meine Filme sind alle sehr persönlich, daher bin ich wirklich von finanzieller Unterstützung abhängig. Mein letzter Film, „Syndromes and a Century“, zum Beispiel ist mit Geld aus Österreich finanziert worden, von dem Mozartfestival, das ein riesiges Budget hatte. Aber so ein Budget kommt einem nicht oft unter. Die Produzenten fragen mich immer noch, ob mein nächster Film zugänglicher als der letzte sein wird. Und ich kann diese Frage nicht beantworten. Selbst Hollywood-Filme floppen manchmal, daher weiß man nicht, was mit so einem Film passiert.

Aber Sie gelten zurzeit als einer der wichtigsten Repräsentanten des Weltkinos!

Nein, nein, ich repräsentierte nichts außer mir selbst. Ich lerne und experimentiere immer noch. In der letzten Zeit habe ich viele Installationen gemacht und mit Fotografien gearbeitet, um zu wahrhaften Ausdrucksweisen zu finden. Was meine Entwicklung als Filmemacher betrifft, stehe ich noch ganz am Anfang. Ich suche immer noch meinen Weg.

Sind Installationen wie die, die Sie gerade in München zeigen, eigenständige Arbeiten, oder eher eine Art Skizze für Ihre Filme?

Manche von ihnen stehen für sich selbst. Aber die Arbeit in München, die „Primitive Project“ heißt, hat verschiedene Elemente: eine Installation, ein Künstlerbuch, Fotos, ein Kurzfilm und schließlich ein abendfüllender Film. Für den Film suchen wir gerade nach Mitteln. Er wird anders als die Installation sein, aber es geht um dasselbe Thema. Er handelt von Khon Kaen, der Region in Nordostthailand, wo ich aufgewachsen bin. In der Installation habe ich mich auf ein kleines Dorf neben dem Mekong River konzentriert, wo die Regierung während der 60er- und 70er-Jahre Jagd auf Kommunismusverdächtige gemacht hat. In dem Langfilm geht es um einen Mann, der immer wieder in dieser Gegend wiedergeboren wurde.

Wer genau ist denn diese Figur?

Onkel Boonmee, eine wirkliche Person. Er lebte in einer Gemeinde nicht weit von meiner Heimatstadt und kam zu einem Tempel in meiner Nachbarschaf, um zu meditieren. Dort wurde ein Mönch auf ihn aufmerksam, ließ sich seine Geschichte erzählen und schrieb ein kleines Taschenbuch mit dem Titel „Der Mann, der sich an seine früheren Leben erinnern kann“. Dieses Buch ist in Thailand kaum bekannt, aber es hat mich sehr inspiriert, als ich es im Tempel entdeckte, weil Onkel Boonmee so hartnäckig in dieser Gegend reinkarniert wurde, trotz des schwierigen Lebens in diesem Teil von Thailand. Es gab diese politischen Schikanen, das Wetter, die wirtschaftliche Lage. Ich war sehr gespannt auf jemand, der trotzdem unbedingt dort bleiben wollte. In dem ganzen Projekt geht es darum, sich der Vergangenheit zu erinnern. Ich will ein Dokument und eine Repräsentation dieser Region schaffen und sie den Menschen dort widmen. Ich befürchte, dass vieles in Khon Kaen bald verschwinden wird, die Volksmärchen, die Folklore und viele andere der wertvollen Dinge, mit denen ich aufgewachsen bin.

Ich hätte eher gedacht, ein Buddhist nimmt einen derartigen Wandel genauso hin, wie er kommt?

Ja, ich weiß. Diese Haltung widerspricht auch der Natur des Kinos.

Das Motto in Ihrem Skypeprofil lautet: „In fünf Milliarden Jahren wird es auch die Sonne nicht mehr geben.“ Das klingt mir eher nach einem buddhistischen Motto: Irgendwann wird alles verschwinden. Warum sich also mit der Vergangenheit herumplagen?

Na ja, das habe ich wohl geschrieben, um mich selbst daran zu erinnern, mich nicht zu sehr in die Vergangenheit zu vertiefen. Aber ich glaube einfach, dass die Thais zu leicht vergessen, besonders in der Politik. Viele Diktatoren sind ungestraft davongekommen, und viele politische Morde und andere Verbrechen wurden nie bestraft. Meine früheren Filme waren sehr persönlich. Es ging in ihnen um mein Leben, meine Eltern, mein Interesse am Kino. Aber dieser Film ist keine persönliche Geschichte mehr. Das „Primitive Project“, an dem ich jetzt arbeiten, ist viel politischer. Meine Interessen haben sich verlagert, wegen der Dinge, die in diesem Land hier vorgehen.

Hat diese Hinwendung zu eher politischen Themen auch damit zu tun, dass Ihr letzter Film „Syndromes and a Century“ in Thailand zensiert und nur in einer bearbeiteten Version gezeigt werden konnte?

Irgendwie schon, denn vorher habe ich mich nie dafür interessiert, wie die Regierung von Thailand funktioniert. Aber als mein Film von der Zensur verboten wurde, habe ich angefangen zu verstehen, wie diese Leute denken und wie das Gesetz hier angewendet wird. Ich habe mit einigen anderen Filmemachern die Gruppe Free Thai Cinema gegründet, und wir haben uns viel mit Bürokraten und ähnlichen Leuten abgegeben. Nach einem Jahr der Verhandlungen haben wir eingesehen, dass wir unsere Zeit verschwenden. Das System wird sich nicht ändern. So ist Thailand halt. Das hat meine Arbeit als Filmemacher beeinflusst.

Filmemachern wie Ihnen, die nicht aus den Ländern der Ersten Welt stammen, aber ihre Filme mit ausländischen Geldern machen, wird oft vorgeworfen, dass sie ihre Filme nicht für die Leute in ihren Heimatländern machen, sondern für das Publikum bei Filmfestivals im Westen. Für wen machen Sie Ihre Filme?

Ich mache Filme für mich selbst. Ich weiß, dass das eine dumme Antwort ist, aber so ist es nun mal. Wenn man an den Markt denkt, macht man solche Filme wie ich am besten überhaupt nicht. Und in Frankreich oder in New York sind meine Filme auch nicht erfolgreicher als in Thailand. Ich arbeite für einen sehr spezialisierten Markt. Manche Leute in Thailand sehen sich Filme wie die von mir an, aber Thailand ist ein kleines Land. Es ist noch nicht mal so groß wie Texas, daher kann man da keinen großen Erfolg an der Kinokasse erwarten. Meine Hauptabsicht ist, etwas Ehrliches zu machen, etwas, das mich anregt. Man mag den Eindruck gewinnen, dass mir das Publikum egal ist. Aber wenn ich ein Projekt plane, habe ich immer verschiedene Szenarios im Kopf und überlege mit den Produzenten, was tatsächlich machbar ist. Aber ob das Geld für den Film aus Thailand oder aus Frankreich stammt, ist egal, ich mache deswegen keinen anderen Film.

Spielen Ihre Filme ihr Budget durch Kinoaufführungen, DVD-Verkäufe und Fernsehausstrahlungen wieder ein?

Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Darum kümmert sich der Vertrieb, und ich denke, dass die ihre Investition langsam wieder hereinholen. Das Geld für meine Filme kommt ja oft von Non-Profit-Organisationen, und darum muss der Verleih sowieso nicht so viel investieren und bekommt seine Investition wohl durch den Verkauf in andere Länder und solche Sachen wieder herein. Ich weiß die Zahlen wirklich nicht, aber ich bezweifele, dass sie einen großen Gewinn machen.

Da Sie nicht mit Filmfirmen in Thailand arbeiten und Ihre Mittel zum größten Teil aus dem Ausland kommen – sehen Sie Ihre Filme überhaupt noch als Teil des thailändischen Nationalkinos? Oder gehören sie zu einem neuen, globalen Kino, das nicht mehr zu einer bestimmten nationalen Tradition gehört?

Ich denke immer, dass ich keine Nation und kein Land repräsentiere. Aber ich kann nicht leugnen, dass ich zum Teil dieselben Mitarbeiter, dasselbe Equipment und dieselbe Einrichtungen nutze wie andere Regisseure in Thailand. Also gehöre ich irgendwie schon dazu. Aber wenn ich über den Film selbst nachdenke, dann ist das nie für Thailand.

Wenn Ihre Filme plötzlich Riesenerfolge würden und Sie mehr Geld zur Verfügung hätten, was würden Sie damit tun?

Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich damit natürlich etwas Spektakuläres machen. Ich liebe Special Effects à la Hollywood, und ich glaube, man könnte mit ihnen ganz andere Sachen machen als die, für die sie im Augenblick eingesetzt werden. Das würde ich gerne ausprobieren.