: „Die guten Seiten der Nazis“
Berufsschüler in Elmshorn lernen im Unterricht von „den guten Seiten des Nationalsozialismus“. IG Metall ist empört, Ministerium prüft
Elmshorn taz ■ Wenn die Berufsschüler im schleswig-holsteinischen Elmshorn Geschichte lernen, dann lernen sie, dass „Machtübernahme und NS-Propaganda eine Aufbruchsstimmung erzeugten, wie sie das deutsche Volk noch nicht erlebt hatte“. Sie lernen, dass „die Einführung des Massentourismus“ und „die Belebung der Weltkonjunktur“ zu den „guten Seiten des Nationalsozialismus“ zählten. Denn sie lernen Geschichte aus dem Schulbuch „Frank. Politik heute“, erschienen 1981. Das Buch ist der IG Metall in die Hände gefallen, und sie hat einen empörten Brief ans schleswig-holsteinische Kultusministerium geschrieben. „Wir halten dies nicht nur für eine unkritische und unhistorische Betrachtung, sondern auch dem Bildungsauftrag der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein widersprechend“, schreibt der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Elmshorn, Uwe Zabel an SPD-Ministerin Ute Erdsieck-Rave. Die will die Angelegenheit nun prüfen.
Aus dem Buch, Seiten 176 bis 177: „Als positive Seite des NS-Staates gelten: Autobahnbau, Beseitigung der Arbeitslosigkeit, Kraft-durch-Freude-Reisen und einige andere.“ Und später heißt es: „Als eine der großen Leistungen Hitlers gilt die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Es wäre falsch, diese Leistung zu leugnen. Es ist aber auch unerlässlich, die Umstände vor und nach der Machtübernahme zu sehen.“ Zum innenpolitischen Klima der NS-Zeit: „Die niedergedrückte Stimmung, die seit Jahren auf allen Volksschichten lastete, wich optimistischen Zukunftserwartungen. Initiative und Selbstvertrauen kehrten zurück.“
„Mit derart unkritischem Unterricht wird in der Mitte der Gesellschaft der Boden für neonationalsozialistische Tendenzen gelegt“, sagt Zabel. In dem Brief an die Ministerin wird diese aufgefordert, dafür zu sorgen, „dass dies umgehend abgestellt wird“. Es sei nicht zuletzt ein „Affront gegen alle GewerkschafterInnen, die im Widerstand ihr Leben für eine demokratische Gesellschaft gelassen haben“.
Im Ministerium selbst ist man von der Sache durchaus peinlich berührt, will aber offiziell nicht Stellung nehmen, „bevor wir mit dem entsprechenden Lehrer und der Schule gesprochen haben“, wie eine Ministeriumssprecherin gestern sagte. Man werde sich spätestens Anfang kommender Woche dazu äußern.
Die IG Metall wollte so lange nicht warten und hat schon mal zur praktischen Abhilfe gegriffen. Der Berufsschule wurde zu Unterrichtszwecken ein Klassensatz der Elmshorner Gewerkschaftsgeschichte gestiftet, „in dem die Zeit des Faschismus auch ausführlich behandelt wird“. PETER AHRENS