: Nicht ohne Parlament
Durch Bundestag und Kabinett geistert ein Entsendegesetz, das den schnellen Einsatz der Bundeswehr garantieren soll. Ein solches Gesetz ist überflüssig und gefährlich
Je einen eigenen Entwurf für ein „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ haben die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen in dieser Woche vorgelegt. Dies ist ein schöner Name für ein Entsendegesetz, das schon seit einiger Zeit auf der politischen Agenda steht. Für ein solches Gesetz hat sich auch Verteidigungsminister Peter Struck schon stark gemacht.
Bei einer Nato-Konferenz Anfang Oktober in Colorado Springs stellte er fest, dass der bisherige parlamentarische Ablauf einer Beteiligung deutscher Soldaten an der Nato-Eingreiftruppe entgegenstehen könnte. Bislang muss eine einfache Mehrheit aller 603 Abgeordneten einem Einsatz deutscher Streitkräfte außerhalb des Bündnisgebiets zustimmen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994 ausdrücklich bekräftigt. Peter Struck will die Entscheidungsabläufe im Parlament beschleunigen, da im Kriegs- oder Krisenfall die militärische Notwendigkeit kurzer Reaktionszeiten mit parlamentarischen Fristen kollidieren könnte.
Dies sieht Außenminister Joseph Fischer ebenso. Er plädiert dafür, dass künftig allein die Bundesregierung über Kampfeinsätze der Bundeswehr zu befinden habe. Dem Bundestag billigt er immerhin noch ein Rückholrecht zu. Auch Mitglieder des Bundestages scheinen mittlerweile der Auffassung zu sein, dass die bisherige Praxis geändert werden muss. Seit Monaten erörtern die Mitglieder des Ausschusses für Immunität und Wahlprüfung verschiedene Modelle. Alle Beratungen und Gedankenspiele haben eines gemein: Es wird unterstellt, dass die vermeintlich zu langsamen Entscheidungsprozesse des Parlaments eine rasche militärische Reaktion im Rahmen der Nato Reaction Force (NRF) behindern könnten. Da Deutschland sich mit 5.000 Soldaten an der 21.000 Mann starken Eingreiftruppe der Nato beteiligen möchte, sei somit deren Einsatzfähigkeit im Krisenfall fraglich. Für diese These gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. So hat der Bundestag in den vergangenen Jahren mehrfach Einsätze deutscher Soldaten im Ausland für einen bestimmten Zeitraum gebilligt. Keine Anfrage der Bundesregierung ist dabei abgelehnt oder zu spät behandelt worden. Auch die Beschlüsse über das Operationsgebiet der Bundeswehr nach den Anschlägen vom 11. September 2001 am Horn von Afrika und in Afghanistan wurden fristgerecht gefasst.
Es gibt lediglich einen Fall, in dem das Parlament nicht gefragt werden konnte. Hierbei handelte es sich um die Evakuierung deutscher Staatsbürger auf dem Flughafen von Tirana. Hier war jedoch eindeutig „Gefahr in Verzug“, und die Regierung handelte somit in Übereinstimmung mit der Verfassung und den politischen Auffassungen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen also, dass es in der Regel durchaus genügend Vorlaufzeit gibt, damit das Parlament verfassungsgemäß über eine Beteiligung der Bundeswehr an militärischen Kampfeinsätzen entscheiden kann. Für die Beibehaltung dieser bewährten Praxis spricht auch, dass deutsche Truppen nur dann tätig werden können, wenn der Einsatz auf der Grundlage internationalen Rechts stattfindet. So steht es im Übrigen auch im Entwurf für eine Europäische Verfassung und in dem so genannten Solana-Papier zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Voraussetzung für den Einsatz deutscher Streitkräfte bleibt also ein Sicherheitsratsbeschluss der Vereinten Nationen. Nichts spricht dafür, dass dieses Gremium rascher und ohne Veto einen Militäreinsatz beschließen kann als der Bundestag.
Das Zeitargument ist also nur vorgeschoben. Es muss deshalb andere Gründe geben, warum das Parlament hinderlich sein könnte. Fakt ist, dass in den vergangenen Jahren immer häufiger zum Mittel militärischer Gewalt gegriffen wurde. Sei es mittels UN-Blauhelmen oder bei Kampfeinsätzen wie im ehemaligen Jugoslawien oder in Afghanistan. Niemand im Parlament hat es sich bei diesen Entscheidungen leicht gemacht. Die Debatte im Bundestag und die Notwendigkeit einer parlamentarischen Mehrheit sind und bleiben daher ein wichtiges Element der Kontrolle und der Mäßigung. Diese Kontrollfunktion ist in den existenziellen Fragen von Krieg und Frieden nicht nur angemessen, sondern auch weiterhin notwendig. Gerade gegenüber einer Wehrpflichtarmee und dem Konzept des „Staatsbürgers in Uniform“ ist diese Besonnenheit in besonderer Weise ausgeprägt. Möglicherweise könnte jedoch diese Form der Mäßigung und Zurückhaltung in Zukunft mit den Erwartungen und Zielen der Regierung kollidieren. So gibt es in den neuen und gültigen Verteidigungspolitischen Richtlinien für die Bundeswehr keinerlei Beschränkungen mehr für das Militär. Es gibt künftig weder politische noch historische noch geografische Grenzen für die deutschen Streitkräfte. Die Bundeswehr soll für alle Eventualitäten einsatzfähig und -bereit sein. Eine solche Tendenz lässt sich auch bei der Konzipierung einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) im Rahmen der EU beobachten. Hier rückt der ursprünglich gleichberechtigte Aspekt ziviler Maßnahmen gegenüber den militärischen Fähigkeiten zunehmend in den Hintergrund. Dadurch besteht die Gefahr, dass das Leitbild einer „Zivilmacht Europa“ irgendwann gar nicht mehr wiederzuerkennen ist.
Dass Demokratien keine Kriege gegeneinander führen, ist mittlerweile zu einer Art sozialwissenschaftlichem Naturgesetz geworden. Hingegen sind (bestimmte) Demokratien ebenso häufig in militärische Auseinandersetzungen mit Nichtdemokratien verwickelt wie andere Regierungsformen auch. Es bleibt somit weiterhin die Aufgabe politisch Verantwortlicher, die Mittel kriegerischer Gewalt zu begrenzen und einzudämmen. Hinzu kommt: Die meisten gewaltsamen Konflikte in der Welt lassen sich eben nicht mit militärischen Maßnahmen lösen. Gewaltsame Eingriffe können lediglich brutale Menschenrechtsverletzungen stoppen und den Aufbau eines staatlichen Gewaltmonopols begleiten und absichern. Sollte sich aber eine Demokratie wie die Bundesrepublik Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen zu einer militärischen Reaktion entschließen, so spricht rein gar nichts dagegen, die Argumente für den Waffengang öffentlich und unmittelbar vorzubringen und auszutragen. Das Parlament ist hierfür der richtige Ort.
Weder ein Ausschuss noch das Kabinett kann dieses traditionelle Forum des freien Worts und der offenen Diskussion ersetzen. Der Deutsche Bundestag sollte sich daher gut überlegen, ob er ein wichtiges parlamentarisches Kontrollinstrument ohne Not aus der Hand geben möchte. Gerade für Sozialdemokraten gilt: 140 Jahre SPD waren immer auch eine Auseinandersetzung über Krieg, Frieden und die Rolle des Militärs. Regierungsverantwortung kann nicht bedeuten, historisch gewachsene Kompetenzen und Kontrollrechte des Parlaments leichtfertig zugunsten der Exekutive aufzugeben. ROLF MÜTZENICH