DIE GRÜNEN SONNEN SICH IM MEINUNGSHOCH. OB DAS REICHT? : Erfolg braucht Überzeugungsarbeit
Wenn überhaupt gelacht wird, dann ist es Galgenhumor. Die Stimmung der Delegierten ist – je nach Naturell – trotzig, verbittert, ratlos oder traurig. Fast nirgendwo sitzen in Zeiten des Wählerschwunds und der kollektiven Politikerschelte so viele missmutige Leute beisammen wie auf Parteitagen. Schlechte Laune ist ansteckend. Gute aber auch. Und deshalb dürfte schon von der Tatsache ein positives Signal ausgehen, dass die Bündnisgrünen sich am Wochenende ganz anders präsentierten: fröhlich, zuversichtlich und selbstbewusst.
Wahlerfolge und ein sonniges Meinungsklima zeigen Wirkung. Es gibt inzwischen grüne Spitzenpolitiker, die ernsthaft glauben, die Regierungskoalition habe den Sieg bei der nächsten Bundestagswahl praktisch schon in der Tasche. Im Mittelbau der Partei wächst unterdessen auch die Überzeugung, stark wie man gegenwärtig sei, könne man die SPD doch nun endlich richtig unter Druck setzen und die Richtung bestimmen.
Zwischen Selbstbewusstsein, Selbstzufriedenheit und Selbstüberschätzung verläuft allerdings ein schmaler Grat. Die Grünen haben strukturell keine Alternative zum sozialdemokratischen Bündnispartner, sind also auf die SPD nach wie vor in stärkerem Maße angewiesen als umgekehrt. Soweit die Parteiarithmetik. Und die Inhalte?
Über die Bürgerversicherung wurde auf hohem Niveau sachkundig diskutiert. Einerseits. Andererseits: Gerade mal sieben Minuten waren dem Vorsitzenden eingeräumt worden, um den – sehr umstrittenen – Leitantrag des Vorstands zum Thema zu begründen. „Dann lass ich weg, was ich zur Parität sagen wollte“, meinte der, als die Tagungsleitung ihn bat, zum Schluss zu kommen. Das Plenum schien darin kein Problem zu sehen. Seltsam.
Und möglicherweise gefährlich für die Grünen. Langfristig lässt sich die Göttin der Demoskopie nämlich nur durch solide Positionsbestimmung geneigt stimmen. Eine „gefühlte“ öffentliche Meinung bietet die Chance für Überraschungssiege. Für dauerhaften Erfolg muss gründliche Überzeugungsarbeit geleistet werden. Die fängt in der eigenen Partei an, und die Partei muss sich dafür auch die Zeit nehmen. Wie übrigens die Union gerade feststellen kann. BETTINA GAUS