„Die Maut ist Überwachung total“

Hartmut Pohl, Professor für Informationssicherheit, fordert sofortigen Stopp des Maut-Systems. Anders als die Regierung sieht er den Datenschutz in Gefahr. Wege der Bürger könnten verfolgt und gespeichert werden – Missbrauch nicht ausgeschlossen

Interview HANNA GERSMANN

taz: Die Bundestagsabgeordneten haben sich gestern erstmals die Verträge für die Einführung der Lkw-Maut angesehen, aber noch keine weiteren Entscheidungen gefällt. Sie fordern sie auf, das System umgehend zu stoppen. Warum?

Hartmut Pohl: Weil es die totale Überwachung schafft. Jede Bewegung – von der ersten Umdrehung des Autoschlüssels im Zündschloss am Morgen bis zum Abschalten am Abend – kann verfolgt werden.

Noch geht es doch nur um Lastwagen auf Autobahnen.

Doch schon jetzt wird jeder, der die Mautkontrollbrücken durchfährt, fotografiert. Auch Pkw. Die mautpflichtigen Fahrzeuge werden dann erst später rausgefiltert. Dazu komt, dass in den radiogroßen Onboard-Units ein Computer eingebaut ist. Diese Daten abzuhören, ist kein Problem. Im Übrigen könnte die Maut schon bald für Autos gelten – und dann auf Bundes-, Land- und Stadtstraßen ausgeweitet werden.

Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung sieht das alles anders. Geht es nach ihm, dann gibt es keinen Verstoß gegen das geltende Recht.

Das sagt er doch viel zu früh. Bisher kennt er nur, was grundsätzlich gewolllt war, was realisiert wird, nicht.

Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) beteuert, dass Mautfotos und Daten unverzüglich vernichtet werden.

Das kann nach einem Tag, einem Monat oder einem Jahr heißen. Außerdem ist in der Technik eigentlich gar nichts löschbar. Im Zweifel ist dann auch der Fahrer zu sehen.

Wer könnte denn Interesse an den Daten haben?

Zum Beispiel ein Konkurrent des Spediteurs, er könnte das Navigationssystem manipulieren, den Fahrer auf Umwege schicken. Das Entscheidende aber ist, dass der Angestellte kein Päuschen mehr machen kann, ohne dass sein Chef davon erfährt. Selbst Werbebriefe sind übrigens nicht ausgeschlossen. Ihr Reifen ist abgefahren, kaufen Sie einen neuen – bei uns.

Wie kommen die Firmen an die Informationen?

10.000 Menschen bei Toll Collect, in den Werkstätten und beim Bundesamt für Güterverkehr gehen mit den Daten um. So ein System können Sie nicht sicher machen.

Was ist, wenn sich die Polizei für Daten interessiert?

Auch sie können sich der Daten bedienen. Das erfordert nur die Änderung eines Halbsatzes im Autobahnmautgesetz …

Das verbietet derzeit die Nutzung, die nicht mit der Erhebung der Gebühr zusammenhängt.

Der Bürger merkt doch nicht, wenn das schnell geändert wird.

Wie muss Toll Collect das System denn umbauen?

Ich würde nicht Toll Collect die Schuld in die Schuhe schieben, sondern der Regierung. Die Probleme tauchen auf, weil es ein zentrales Rechensystem gibt, in dem alle Daten gespeichert werden. Das ist völlig falsch. Seit über zwanzig Jahren sind vielmehr dezentrale Systeme Stand der Technik.

Wie erklären Sie sich das?

Die Bundesregierung wollte offenbar nicht nur ein System, das möglichst schnell viel Geld kassiert. Sie hat sich bewusst für ein System zum Datensammeln entschieden.

Ihr Tipp für die Parlamentarier, die die Verträge nun beurteilen werden?

Sie müssen die Verträge juristisch prüfen, wie steht es um den Termin und Schadenersatz. Das ist aber nur der erste Schritt. Das Sicherheitskonzept muss auf den Tisch – wie es bei staatlichen Verfahren üblich ist. Wir haben es schließlich nicht mit einer Geheimtechnik des Ministeriums zu tun. Sorgt Stolpe da nicht für Transparenz, muss man erst recht mistrauisch werden.