Seine härteste Rolle

Robert De Niro hat Prostatakrebs. Schlimm für ihn. Doch die anderen Männer lernen: Wenn einer wie De Niro sich am Anus untersuchen lässt, kann das so schlimm nicht sein

von JAN FEDDERSEN

Die Nation zeigte sich bestürzt, TV-Kanäle wie CNN oder ABC platzierten die Meldung in den Nachrichtenblock: Bei Robert De Niro wurde eine bösartige Gewebeentwicklung an der Prostata attestiert. Ein Sprecher des Schauspielers teilte der Öffentlichkeit immerhin mit, dass die Geschwulst in einem frühen Stadium entdeckt wurde, die Heilungsaussichten also zum Besten stünden.

Abgesehen vom Hollywoodfaktor, der noch fast jede sinnliche Äußerung eines kinoberühmten Mimen für mitteilungswürdig hält, unabhängig davon, dass Jahr für Jahr Millionen an viel zu später Behandlung einer bösartigen Gewebewucherung sterben, erstaunte dann doch, weshalb diese Meldung so prominent verhandelt wird: Möglicherweise hängt es an der Verknüpfung zweier Faktoren – berühmter Schauspieler plus Krankheit im Intimbereich.

Prostatakrebs ist nachgewiesenermaßen die „häufigste Krebsart unter erwachsenen Männern“ (Steffen Höchel, Oberarzt am Berliner Bundeswehrkrankenhaus) jenseits des vierzigsten Lebensjahres. Tragisch, aber wahr: Die wenigsten Männer nutzen die fast sicheren Früherkennungsmethoden, um sicherzugehen, dass sie an dieser tückischen Krankheit nicht sterben. Denn anders als Lungenkrebs oder (überwiegend bei Frauen) Brustkrebs ist die bösartige Wucherung der Prostata nicht zu bemerken.

Neben dem überwiegend unter jungen Männern auftretenden Hodenkrebs ist die Krebserkrankung an der Prostata durch einen kombinierten Test nachweisbar: Würden, so Mediziner Steffen Höchel, die Früherkennungsprogramme genutzt, könnte die Mortalitätsrate gesenkt werden. Wird der Krebs im eigenen Körper realisiert, ist es meist zu spät: Die Wucherung konnte streuen, das heißt, ihre bösen Zellen konnten andere Körperbereiche inoperabel befallen. Die Prognosen für erfolgreiche Prostatakrebserkrankungen sind günstig: 60 bis 80 Prozent der erkrankten Männer blieben in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren symptomfrei.

Und doch nutzen in Deutschland nur 13 bis 15 Prozent der Männer ab 45 Jahren die von den Kassen finanzierte Untersuchung, bei der ein Urologe mit dem Finger die im Darmbereich fühlbare Prostata auf Veränderungen abtastet. Zur Sicherheit würde eine (nicht kassenfinanzierte) Blutuntersuchung letzte Sicherheit über eine mögliche Gewebeveränderung geben.

Weshalb aber nutzen Männer diese Inspektion nicht? Über den Grund berichten zahllose Internetseiten, auf denen ehemalige (und geheilte) Patienten Auskunft über ihre Ängste vor der Vorsorgeuntersuchung geben. Kurz formuliert: Der Anus, dessen saloppe Bezeichnung Arschloch das Schimpfwort in allen Sprachen ist, wird als intimster und zugleich schmutzigster Bereich des männlichen Körpers empfunden. Der Arsch, der Darm, die hochnervöse (und beim Analverkehr Lust spendende) Prostata – alles zusammen kaum entwirrbare Organbereiche, die auch der sexuellen Stimulation dienen und ihr willkommen sind. Und in diese Zone sollte eine fremde Person mit dem Finger oder einer Kanüle eindringen dürfen?

Obendrein fürchten viele Patienten das Leben mehr als den Tod: Lieber nehmen sie Nichtwissen in Kauf, als dass sie sich einer Operation stellen. Denn bei einer Diagnose Krebs muss die Prostata entfernt werden – und damit jenes sekretierende Organ, das für die Produktion von Sperma zuständig ist, jenes im Alter auf Kastaniengröße erweiterte Ding, dessen Nerven, werden sie berührt, Lust signalisieren: als hunderttausendfachmildes Niesen.

Der Verlust der Prostata – sowie der vielen, auch den Penis betreffenden Nervenstränge, die um die Drüse herumlaufen – bedeutet zudem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Verlust der männlichen Potenz. Der korrekte, aber den individuellen Schrecken eher vernebelnde Ausdruck: erektile Dysfunktion. Doch für eben diese Folgen gibt es, so Oberarzt Hölcher, Mittel wie Viagra – Medikamente, die Sex ermöglichen, wenn auch „etwas auf Befehl“. Allerdings: ein Kondom müsse schon angewandt werden, egal, ob der Mann mit Partnerin oder Partner nun Safer Sex vereinbart hat oder nicht: Denn der Verlust der Prostata kann nicht nur zur zeitweisen Inkontinenz (der das Tragen einer Windel ratsam erscheinen lässt), sondern auch beim Orgasmus zum Spritzen von – Urin! führen. Der männliche Unterleib kennt dann keine Schranke in der Austeilung von Flüssigkeiten – wie beim Gesunden.

Im Amerika des Robert De Niro wird die Nachricht von der Krebserkrankung ihres Helden wahrscheinlich zu einer willigeren Bereitschaft führen, zur Vorsorge zu gehen. Und der Star könnte zugleich zu einem, wie Susan Sontag es in ihrem Essay „Krankheit als Metapher“ formuliert, Helden deshalb bringen, weil mit seiner (der Homosexualität, also der Analität) unverdächtigen Person ein tabuisierter, weil mit Schmuddeligkeit assoziierter Bereich zum talk of the country werden kann, ohne dass es schamlos wirken könnte.

Robert De Niro kann es sich leisten, denn seine Rollen barsten stets vor Virilität, deuteten zwar auch oft frisörhaften Feinsinn an, doch in erster Linie schweißige Männlichkeit, rohe Kampfkraft und Entschlossenheit: raging bull, nothing else.

Sein Schicksal wird noch mehr Anteilnahme wecken, viel mehr als jenes von Männern wie Rudolph Giuliani, Harry Belafonte, Norman Schwarzkopff oder Frank Zappa, alle erkrankt an der Prostata. Robert De Niros Kampf gegen die bösen Mächte im Körper wird notiert und bewertet werden. Es könnte seine größte Rolle werden – eine, mit der er kein Geld verdienen kann, aber eine, mit der er in die hall of fame amerikanischer heroes eingehen könnte, ganz ohne Zelluloid: Der Mann, der den Männern die Furcht vor dem Anus nahm – weil er kein Schwuler war, genießt er eben die allergrößte street credibility in dieser Hinsicht.

Der 60-Jährige hat ein großes Vorbild, eines, das selbst in seiner Branche tätig war: 1985 war es der öffentlich stets als Frauenschwarm und -held verhandelte Rock Hudson, der an Aids erkrankte. Bis zu jenem Tag, als Hudson seine Krankheit nicht mehr verschweigen konnte, weil er akut lebensgefährdet ins Hospital eingeliefert werden musste, galt die Immunschwächekrankheit als göttliches Fanal gegen die sündigen Männer, die in Dreckslöchern wie San Francisco und New York mit ihren Sexorgien (oder dem, was man in sie hineinfantasierte) nur ihrer gerechten Strafe entgegenstarben.

Aber dieses hass- und angsterfüllte Muster passte nicht auf den damals 50-jährigen Rock Hudson, everybody’s darling des amerikanischen Kinomainstreams: Der good guy, der ideale, weil charmanteste Frauenflachleger konnte nicht integrer sein. Und plötzlich hatte Aids nicht mehr so stark den Ruch des Gerechten. Mit Hudson mobilisierte sich Mitgefühl und tätige Sorge. Chic wurde es, aidserkrankte Freunde zu pflegen – und bei den Oscar-Verleihungen ward es obligatorisch, am Revers die rote Solidaritätsschleife zu tragen.

Robert De Niro, alles in allem das Gegenmodell zu Arnold Schwarzenegger, selbst aber auch kein Rock Hudson, weil seine Frauengeschichten sehr modern auf eine gewisse Promiskuität hindeuteten, wird diese Rolle annehmen – so tapfer, wie er auch bei anderen Charitys gerne Parts übernommen hat.

Im Diskursstrom wird dann eine Fülle von Fragen aufgeworden: Woher die Angst vor den Untersuchungen, die Furcht vor dem Sprechen überhaupt? Deutsche Selbsthilfegruppen, im Internet ist es dokumentiert, klagen über geringe Interessentenzahlen – und räumen ein, dass sich hinter diesen Ziffern Scham und Schuld verbergen.

Interessant wird die Diskussion aber erst werden, wenn man ein, nun ja, schwarzes Loch in der epidemiologischen Diskussion des Prostatakrebs schließt – eines, das in Australien gerade zu schließen begonnen wird. Dort, Urologe und Oberarzt Steffen Höchler räumt das ein, existiert eine noch zu prüfende Studie, die besagt, dass eine bösartige Prostataerkrankung in fast kausalem Zusammenhang mit einem wenig entwickelten Sexualleben steht.

Anders formuliert, und Höchler, Jahrgang 1961, stimmt dem zu: Wer regelmäßig seinen Unterleib in Schwingung bringt, wer mit sex, sperm & rock ’n’ roll sein Gemächt und dessen Drumherum in Schwung hält, wird mit größter Wahrscheinlichkeit nicht – jedenfalls nicht an dieser Stelle – an Krebs erkranken.

Was nicht in der Studie zu lesen steht – was also wie in Europa und Amerika aus Gründen der Beschämung nicht erforscht wird – ist die Antwort auf die Frage, ob regelmäßige Stimulationen der Prostatadrüse (und nicht durch den Urologen) zum Wohlbefinden überhaupt beitragen können: Es wäre doch eine spannende medizinische Frage, inwiefern dieses Lustorgan im abend- wie morgenländischen Kulturkreis nicht allzu stark unterfordert wird?

Robert De Niro jedenfalls wollte das ärztliche Bulletin in eigener Sache nicht ergänzen. Vielleicht nimmt er seinen Krebs als Stigma. Die Welt wird ihm sagen, dass das fortan unnötig ist.