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Archiv-Artikel

Motorgestützte Federwelt

Die Kunstsammlung NRW zeigt eigentlich retrospektiv die Zeichnungen von Rebecca Horn. Doch bei einer der wichtigsten deutschen Künstlerinnen dürfen Installationen, Objekte und Filme nicht fehlen

Meine Maschinen sind keine Waschautomaten, sie besitzen fast menschliche Eigenschaften

VON PETER ORTMANN

Wie von Geisterhand bewegt, spielen Musikinstrumente ihre Töne selbst, kreiseln Pinsel Pigmente über blankpolierte Flächen, stechen Messer in scheinbar blutende Granitblöcke. Die Kunstsammlung NRW (K20) in Düsseldorf zeigt Rebecca Horn, eine der wichtigsten deutschen Künstlerinnen. „Eigentlich ist es ein Blick auf ihre Zeichnungen“, sagt Kurator Armin Zweite, der zwei lange Jahre an der Konzeption der Ausstellung arbeitete, die anschließend nach Lissabon und London wandert und in einem Jahr auch in Berlin wieder zu sehen sein wird. Doch niemand könnte der Künstlerin gerecht werden, wenn nicht auch ihre mysteriösen Objekte, raumbezogenen Installationen und abendfüllenden Künstler-Filme in der Ausstellung integriert wären. 25 dreidimensionale Arbeiten stehen in der Landeshauptstadt rund 80 Zeichnungen gegenüber. Daraus komponierte die Künstlerin beim Aufbau selbst einen zweistöckigen „Parcours der Zeichnungen“, so Zweite.

Horns hyperpoetische Arbeiten scheinen ein großes Erklärungsbedürfnis zu haben – neben dem umfangreichen Katalog produzierte das Museum für Besucher zusätzlich ein Begleitheft, das chronologisch alle Arbeiten analysiert, interpretiert und mit Zitaten der Künstlerin versieht. Von einer Autonomie des Kunstwerks bleibt da nicht viel übrig, vielleicht dominierte auch die unbewusste Furcht, die Raum-Installationen und merkwürdigen Objekte könnten von den Besuchern nicht ausreichend gewürdigt werden. Glücklicherweise widersetzen sich Kunstwerke meist ihrer kunsthistorischen Rezeption, oft auch einer eingeforderten Selbstanalyse der sie Erschaffenden.

Vier Jahrzehnte künstlerischer Arbeit von Rebecca Horn sind auf zwei Etagen der Kunstsammlung installiert, gehängt und aufgebaut. Viele Objekte waren Teil von Performances der Künstlerin, die von 1972 bis 1981 in New York gelebt hat, zu einer Zeit als Richard Serra noch mit Taxifahren seinen Lebensunterhalt sicherte, wie die Künstlerin bei der Eröffnung schmunzelnd preisgab. „Diese Objekte sind keine Relikte der Performances, dafür sind sie zu aufwändig gearbeitet“, sagt Kurator Zweite. Sie wurden nach Gebrauch für dokumentarische Filmaufnahmen unter Glasvitrinen gesetzt und zu eigenständigen Kunstwerken. Wie die Einhorn-Bandage von 1970, mit dem der internationale Ruhm der Künstlerin begann. Ein weißes Halterungssystem, das kunsthistorisch an Frida Kahlos Rückgrat-Stütze erinnert und das ein unbekleidetes Modell durch ein Kornfeld und einen Wald balancieren musste, das endlos lange Horn auf dem Kopf, wie eine Kompassnadel in den blauen Himmel gerichtet. Oder wie die martialisch anmutende Bleistiftmaske von 1972, mit der die Künstlerin Linien an die Wand zeichnete, die sich im Laufe der Aktion immer mehr verdichteten. Der sensibilisierte Kopf als Malmaschine erforderte eine ganz andere Konzentration, als das Zeichnen mit der Hand.

Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Künstlerin zu einer Virtuosin des Elektromotors. Überall surren sie leise in und hinter kinetischen Installationen und Objektkästen, setzen filigrane Gebilde unmerklich in Gang, bewegen riesige Halterungsarme oder mechanische Malmaschinen. Für die Arbeit „Licht gefangen im Bauch des Wales“ (2002) benötigt ein Museum einen ganzen eigenen Raum. In der Mitte liegt ein rechteckiges Bassin, darüber ein Beamer, der Texte eines Gedichts von Rebecca Horn über die Wasseroberfläche an die Wand projiziert. Ein goldener Stab durchbricht die Spannung der Flüssigkeit, die Schrift an der Wand beginnt zu zittern, im Hintergrund schmeichelt Obertongesang. Zusätzlich werfen Besucher Schatten oder werden zur Projektionsfläche für den rotierenden Lichtstrahl. Der biblische Jonas wäre sicher froh gewesen, wenn sein Aufenthalt im Wal derart abwechslungsreich illuminiert gewesen wäre.

Die jüngsten Arbeiten in der Ausstellungen sind die farbigen Zeichnungen auf Papier. „Bodylandscapes“ (Körperlandschaften) ist auch der Titel der Retrospektive. Energiegeladene Striche kreuzen und kreisen auf Blättern, die der Körpergröße der Künstlerin entsprechen. „Der Körper spannt Antennen weit um sich, in Linien kreisend, den Schwebezustand im Federweiß zu proben“, beschreibt Horn ihre Arbeiten selbst. Das Bild von daVincis göttlicher Proportion vor Augen, scheint der körperliche Akt des Zeichnens fast wichtiger zu sein, als das Resultat.

Das künstlerische Werk von Rebecca Horn bleibt herrlich mysteriös, wenn man seine akademischen Deutungsversuche ignoriert. Der erste Rundgang der Besucher sollte unbedingt ohne Begleitheft erfolgen, nur dann kann jeder unbefleckt in die motorgestützte Federwelt der Künstlerin eintauchen.

Bis 09. Januar 2005