: Die Musik spielt hier und jetzt
Der Film „Only The Strong Survive“ von Chris Hegedus und D. A. Pennebaker porträtiert eine Musikszene, die sonst nur in der Vergangenheitsform präsent ist: Soul. Doch Künstler wie Ann Peebles oder Sam Moore haben nichts von ihrer Kraft verloren
VON TOBIAS RAPP
Soul ist eine Sache der Vergangenheit, so kommt es einem vor, wenn man die vielen Bücher liest, die in den letzten Jahren über diese Musik erschienen sind, oder all die Wiederveröffentlichungen zur Hand nimmt, die Woche für Woche in den Plattenläden landen. Einer großen Vergangenheit zwar, deren Vergangen-Sein einen melancholisch zu stimmen vermag, die aber nichtsdestotrotz vorbei ist. Die großen Künstler sind entweder tot oder einem Vergessen anheim gefallen, dem man sie allein durch genaue Rekonstruktion ihrer Geschichte entreißen kann.
Dass „Only The Strong Survive“, der neue Film des Dokumentarfilmerduos Chris Hegedus und D. A. Pennebaker, genau in diese Falle nicht geht, dürfte sein besonderes Verdienst sein. Denn so tragisch die Lebensläufe vieler Soulsängerinnen und -sänger verlaufen sind, so früh und unter so elenden Umständen viele verstarben: die meisten Künstler dieser Szene leben noch. Und machen immer noch Musik.
„Only The Strong Survive“ zeigt zehn Veteranen der Soulmusik vor, während und nach ihren Konzerten und entdeckt eine Szene, die sich zwar gezwungenermaßen abseits der Musikindustrie organisiert, aber noch fast genauso lebendig ist wie zu ihrer Glanzzeit in den Sechzigern und frühen Siebzigern. Wilson Pickett, Rufus und Carla Thomas, Mary Wilson, Sam Moore, Jerry Butler, Ann Peebles, die Ch-Lites, Isaac Hayes – jede der großen Soul-Städte hat auch in „Only The Strong Survive“ ihre Vertreter. Memphis, New York, Chicago, Detroit.
Lange Wege und verschlungene Wege haben die Künstler zurückgelegt. Während Wilson Pickett noch immer der alte Lebemann ist, der stolz seinen 3.000-Dollar-Anzug präsentiert, ist Jerry Butler, der einst das titelgebende Stück eingespielt hatte, mittlerweile ein einflussreicher Politiker in Chicago. Mary Wilson studiert an der Universität von New York.
Hegedus und Pennebaker verzichten für ihren Film allerdings fast vollständig darauf, über das Einspielen alter Aufnahmen eine historische Dimension einzuziehen, die Bilder aus dem Hier und Jetzt durch Verweis auf ein großes Gestern aufzuwerten. Die Musik in „Only The Strong Survive“ spielt jetzt, scheint der Film zu sagen, die alten Aufnahmen kann man auch in den Fernseh-Werbetrailern für Oldieboxen anschauen.
Zu Recht. Denn keiner der Künstler hat an kreativer Kraft verloren. Da sieht man Sam Moore auf der Bühne stehen, einigermaßen gezeichnet von langjähriger Drogenabhängigkeit, ein massiver Mann, der auch 35 Jahre nach seiner großen Zeit als die eine Hälfte von Sam & Dave Hits wie „Hold On, I’m Comin“ oder „Soul Man“ performt, als hätte er einen direkten Draht nach oben. Oder Mary Wilson, einst als dritte Supremes-Sängerin im großen Schatten von Diana Ross und Florence Ballard. Nun singt sie „Some Day We’ll Be Together“, als sei es immer schon ihr Song gewesen. Oder Rufus Thomas, der schon in den Sechzigern eigentlich zu alt für einen Teeniestar war und im Film 82-jährig immer noch höchst überzeugend „Walking The Dog“ gibt. Kurz bevor „Only The Strong Survive“ auf dem Sundance Film Festival seine Premiere erleben sollte, starb er im Dezember 2001.
Tatsächlich scheint das Konzert das eigentliche Metier der Soulmusik zu sein, was überrascht, hat die schwarze Musik diese Qualität doch mit Disco an die Tanzfläche und mit HipHop an den Videoclip abgetreten.
„Only The Strong Survive“. Regie: Chris Hegedus und D. A. Pennebaker. USA 2002, 95 Min.