: Zur Beruhigung ins Klo gesperrt
Die Mutter eines verhaltensgestörten Kindes klagt wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen gegen Grundschule Rönnebeck. Eine Pädagogin soll den Sechsjährigen regelmäßig in eine ausgediente Toilette gesperrt haben – um ihn zu beruhigen
Bremen taz ■ Eigentlich freuen sich alle Schulkinder auf den letzten Tag vor den Ferien. Nicht so der Sechsjährige aus Bremen-Nord, der zu 80 Prozent schwerbehindert ist. Für ihn war bisher jeder Schultag die Hölle. Am Freitag blieb er zu Hause. Die Mutter wollte ihrem zunehmend verängstigten Kind einen weiteren Tag in der Schule ersparen.
Nach den Sommerferien war er in die Integrationsklasse der Grundschule Rönnebeck in der Hechelstraße eingeschult worden. Weil er dort den Unterricht störte, wurde er regelmäßig in einen engen Raum eingesperrt, der vormals als Toilette gedient hatte. „Die alten Pissoirs waren nicht einmal zugehängt“, beschreibt die Mutter die Situation in der steril gefliesten Kammer. Nur ein Stuhl habe in den zwei Meter langen Raum gepasst. Es sei dunkel gewesen und habe gestunken. Einen Großteil seiner bisherigen Schulzeit habe das Kind in der ausgedienten Toilette verbringen müssen, sagt die Mutter. Mehrmals täglich sei er dort hingeschickt worden. Das habe die Pädagogin, die für seine Betreuung zuständig war, eingeräumt.
Der Hintergrund: Seit seiner Geburt leidet der sechsjährige Junge unter schweren Verhaltens- und Sprachstörungen. Er ist in seiner Entwicklung zurückgeblieben. Daher hatte sich die Mutter um einen Platz an der Schule Am Wasser bemüht, die auf Kinder mit geistigen Behinderungen spezialisiert ist. Doch das hat nicht geklappt. Für den Jungen sei eine Lernbehindertenschule mit Kleingruppen das Richtige, habe die Begründung der dortigen Schulleitung gelautet.
Aber so ein Angebot gibt es in Bremen-Nord nicht. Schließlich kam der Junge auf die Integrationsklasse einer regulären Grundschule – zusammen mit drei weiteren so genannten Förderkindern. Der Verdacht der Mutter: „Mein Sohn musste auf die Schule in der Hechelstraße, damit die mehr Förderstunden mit einer Spezialpädagogin bewilligt bekommt.“ Die zusätzliche Kraft sei während des Unterrichts fast immer dabei gewesen.
Nach den Herbstferien wird er die Schule wechseln. Nun soll er doch einen Platz in der Förderschule Am Wasser bekommen. Darüber kann sich die Mutter aber nur bedingt freuen. Ihre Sorge: „Seit der Einschulung hat sich der seelische Zustand meines Sohnes erheblich verschlechtert.“ Oft habe sie deshalb das Gespräch mit der Pädagogin gesucht. Doch von den Stunden auf dem alten Klo habe sie erst erfahren, nachdem ersich zuletzt weigerte, in die Schule zu gehen. „Mama, Angst, Tür zu“, habe er immer wieder gesagt. Die Pädagogin habe ihr daraufhin von der zum „Ruheraum“ umfunktionierten Toilette berichtet.
Die Schulleiterin Elisabeth Kreis war auf Anfrage der taz zu keiner Stellungnahme bereit. Sie habe aber gesagt, dass die ganze Sache zwar unglücklich sei, es aber keinen anderen Raum gebe, wo der Junge sich hätte beruhigen können, erzählt die Mutter. Die Schulbehörde weiß über die Sache Bescheid. In der Tat handele es sich um einen „sehr engen Raum“, sagt Behördensprecher Rainer Gausepohl. Grund für die Notlösung sei, dass sich die Grundschule Rönnebeck in einer Umbausituation befinde.
Was die Schulleiterin unglücklich nennt, ist für die besorgte Mutter menschenunwürdig. Daher will sie die Schule jetzt verklagen. Der Rechtsanwalt Sven Sommerfeldt will Strafanzeige wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen stellen. „Wegen seiner Krankheit war das Kind völlig wehrlos“, so Sommerfeldt. Den Pädagogen, denen die Mutter die Fürsorgepflicht übergeben hatte, wirft der Anwalt böswillige Vernachlässigung vor. Sollte sich herausstellen, dass der Junge tatsächlich psychischen Schaden genommen hat, sei auch eine Schadensersatzforderung realistisch. Doch darum geht es der Mutter in erster Linie gar nicht. „Ich will einfach, dass anderen Kindern eine solche Behandlung erspart bleibt“, sagt die besorgte Mutter. Ebbe Volquardsen