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Archiv-Artikel

Das Prinzip Hoffnung

Flexibel, aber nicht mehr zum Fischeinwickeln tauglich: Detroits Zeitungen testen ab heute als Antwort auf die Pressekrise den neuesten E-Reader

VON RENÉ MARTENS

„Die Vertriebsform der klassischen Zeitung auf Papier ist überholt; elektronische Verteilformen sind nutzerfreundlicher, wirtschaftlicher und ökologischer.“ So lautet eine der Thesen, die Stephan Weichert und Leif Kramp in ihrer aktuellen Studie „Das Verschwinden der Zeitung?“ für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) aufstellen. Die Position ist in der internationalen Debatte durchaus Konsens. In den USA, wo Zeitungen bereits verschwunden sind oder ihre Print-Ausgaben eingestellt haben – aktuelles Beispiel: Der Christian Science Monitor wird ab sofort statt täglich nur noch einmal wöchentlich gedruckt – beginnt jetzt ein vielversprechendes Experiment.

Der Verlag Detroit Media Partnership (DMP) bietet ab heute für Abonnenten seiner Detroit Free Press und Detroit News einen 20 mal 27 Zentimeter großen Plastik-Touchscreen an, auf dem man die Zeitungen in ihrem klassischem Layout lesen kann. Das Display ist größer als beim bekanntesten der rund 20 erhältlichen E-Reader, dem Kindle von Amazon – und außerdem flexibel, also ein bisschen knickbar.

Das Ganze ist vorerst aber nur ein Test für gerade einmal 100 Abonnenten – regulär kommt der E-Reader der Firma Plastic Logic frühestens 2010 auf den Markt. Der Testlauf in Detroit ist Teil eines Bündels von Maßnahmen, mit denen DMP Kosten bei Druck und Vertrieb einsparen will: Die Abonnenten der Detroiter Blätter bekommen ihre Zeitungen fortan nur noch dreimal pro Woche (Donnerstag, Freitag, Sonntag) zugestellt. An den übrigen Tagen gibt es gemeinsame Ausgaben von Free Press und News – und die gibt es dann nur am Kiosk und auf den wenigen E-Readern.

Zu den Kosten mochten sich DMP und Plastic Logic nicht äußern, nach US-Medienberichten sollen die E-Reader zwischen 300 und 800 Dollar kosten. Langfristig ist daher geplant, dass Abonnenten die Geräte mieten.

Im Januar hatte die Online-Platform business insider.com der schwächelnden New York Times empfohlen, ihren loyalen Abonnenten einen Kindle zu schenken – das gedruckte Blatt zuzustellen sei doppelt so teuer. Amazon bietet in den USA bereits 33 Tageszeitungen als Version für seinen Kindle an, der umgerechnet rund 260 Euro kostet.

Doch ob es wirklich zukunftsträchtig ist, Tageszeitungen über E-Reader zu vertreiben, ist umstritten: Die einen sagen, dies sei alter Wein in neuen Schläuchen, weil das Konzept Tageszeitung als Ganzes ausgedient habe. Andere prophezeien, die für neue Technologien aufgeschlossenen E-Reader-Nutzer bräuchten so etwas Altes wie eine Zeitung nicht, während Freunde des Papiers sich die analoge Lektüre am Frühstückstisch nicht würden abgewöhnen wollen.

Jacob Weisberg, Chefredakteur des US-Online-Magazins slate.com, hat im Magazin Newsweek gerade ein Loblied auf den Kindle gesungen: New York Times oder Washington Post auf dem Gerät zu lesen, sei „eine fundamental bessere Erfahrung“ als die Lektüre auf Papier. Der Branchendienst seyboldreport.com schlägt vor, zwecks Einsparung von Vertriebskosten an Flughäfen und in Flugzeugen E-Reader für die temporäre Nutzung bereitzustellen.

E-Reader haben aber auch Nachteile: Weichert/Kramp schreiben, dass der elektronische Vertrieb einen „immensen Stromverbrauch“ mit sich bringe. Möglich auch, dass das beim Druck und beim physischen Vertrieb eingesparte Geld größtenteils in die neue Technik fließt (Hardware, digitale Infrastruktur, Konvertierungen). Oder dass die Verlagshäuser dies zumindest behaupten werden: Der Blogger Leander Wattig hat gerade darauf hingewiesen, dass E-Book-Ausgaben von Büchern entweder genauso viel kosten wie die herkömmlichen Druckwerke oder nur geringfügig günstiger sind – trotz aller Einsparungen. Erfreulich für manche Fortschrittsfreunde: Die FAZ, die einzige deutsche Zeitung, die es für Kindle-Nutzer gibt, kostet in dieser Version aktuell nur 11 Euro im Monat. Für die klassische gedruckte Zeitung berappt man dagegen stolze 37,50 Euro.

FES-Studie: library.fes.de/pdf-files/stabsabteilung/06156.pdf