: berliner szenenArbeit am Alltag
Verschlüsselte Schnäpse
Nachts beim Zigarettenholen zwei Frauen mit ihren madenförmigen Hunden begegnen. Nach Hause gehen, um die madenförmigen Hunde auf die nötige Zeilenzahl für einen kurzen Text aufzupumpen. Bei Zeile 40 platzen sie. Die Luft ist raus. Jetzt liegen ihre Hüllen auf dem Trottoir und die beiden Frauen, die sich im Übrigen nicht mal kennen, sitzen im „Dubrovnik Grill“ auf der Turmstraße und sagen kein Wort. Und der Grill ist auch aus.
Oder: Im Gang ein Schild, auf dem steht „Achtung Kabelarbeiten“ und jemand hat mit Filzschreiber darunter gesetzt „von aleine“. Super Berliner Szene. Oder die Kassiererin verspricht sich. Oder der Taxifahrer kennt sich überhaupt nicht aus. Oder der Bankkaufmann im Ruhestand und auf der Kastanienallee, der die Odyssee auf Griechisch auswendig kann, kommt an unseren Tisch. Oder ich will Freunde am Gehen hindern und sage, ihr könnt jetzt nicht gehen, da drüben im Park, wo das Licht brennt, gibt es „table-dancing“. Die Freunde gehen nicht, beschweren sich aber später, dass es dort nicht einmal „tables“ gibt, von „dancing“ ganz zu schweigen. Oder ich versuche dem drolligen Barkeeper eine Pressekarte der Frankfurter Buchmesse als Bezahlung für meinen vorangegangenen Konsum anzubieten.
Oder mein Tabakhändler gibt morgens per Telefon und mit einer ungeheuerlichen Präzision die Nachbestellung an Flachmännern durch: drei null zwei Landfried, zwei null zwei Äpfelkorn, vier null drei Störtebecker und es klingt wie ein verschlüsselter, militärischer Code – und die Szene würde aufhören mit dem Satz: Seitdem weiß ich, dass mein Tabakhändler beim Geheimdienst ist. In der Berliner Szene wäre das natürlich schmissiger formuliert und eine richtige Pointe. MONIKA RINCK