: Kein Amt, keine Partei, keine Fehler – und grüne Freunde
Das erneute Absinken der Wahlbeteiligung hat Fehler der Amtsinhaber besonders bestraft – und im Zweifelsfall der SPD genutzt. Denn wenn beide Volksparteien ihre Wähler gleich schlecht vom Sofa wegbekommen, zeigt sich, dass zumindest das Kernruhrgebiet noch immer strukturell rot ist
25 Prozent bei der Stichwahl – ein Traumergebnis? Bei der NRW-Kommunalwahl ja. Zumindest, wenn man sie auf die Summe aller Wahlberechtigten bezieht: Wer als BürgermeisterkandidatIn jeden vierten potenziellen Wähler auf seine Seite ziehen konnte, musste den Einzug ins Rathaus nicht fürchten. Mit 38,4 Prozent war die Wahlbeteiligung in NRW so niedrig wie nie zuvor. In vielen Städten wurde der Wahlabend deshalb zu einer Wundertüte, und beide großen Parteien fühlen sich als Sieger. Doch wie sieht der Kaffeesatz am Montagmorgen wirklich aus?
Fehler sind verboten. Die wenigen Menschen, die es tatsächlich bis zum Wahllokal geschafft haben, differenzieren und vergeben ihre Stimme parteiunabhängig nach den Leistungen in der Kommunalpolitik. Das hat besonders die SPD in den symbolträchtigen Städten Duisburg und Wuppertal bitter erkennen müssen. Dass die Duisburger Rathauschefin Bärbel Zieling betriebsblind an ihren Prestigeprojekten Multi Casa und Urbanum festgehalten hat, obwohl weder Investoren noch Bürger wirklich Lust auf Bahnhofs-Shopping und Luxuskasino hatten, hat sie ihren den Job gekostet. Ähnlich Wuppertal: Wer der SPD eingeflüstert hat, dass Hans Kremendahl mit seinen Korruptionsaffären trotz Freispruch als Oberbürgermeister zu halten sei, hat die Intelligenz der Wähler unterschätzt. Selbst Kremendahl gesteht ein: „Der Spendenskandal hat zu meinen Lasten eine große Rolle gespielt.“ Stimmt. „Örtlich bedingte Ausreißer“ (SPD-Landeschef Harald Schartau) und „sehr spezifisch begründet“ (Ministerpräsident Peer Steinbrück) seien die Pleiten in Duisburg und Wuppertal gewesen, findet die SPD-Spitze. Stimmt auch – sie hätten es nur vorher wissen können.
Doch auch die CDU hat vor allem dort verloren, wo Kommunalpolitiker offenkundig ins Klo gegriffen haben. Nils Kruse ist in Castrop-Rauxel nicht nur wegen seinem schwachen Wahlkampf, sondern vor allem wegen seiner hohen Rentenansprüche gescheitert – er hatte es schon nach dem ersten Wahlgang geahnt. Und Oliver Wittke hat sich in Gelsenkirchen mit seinen Untergangsszenarien für die Emscher-Lippe-Region viele Freunde gemacht, nur nicht in seiner eigenen Stadt.
Grün entscheidet. Spätestens seit der Bundestagswahl 2002 sind die Grünen der festen Überzeugung, dass die SPD ohne sie nirgendwo gewinnen kann. Klingt überheblich, stimmte aber auch an diesem Wochenende: Zu allen Seiten koalitionsoffen wie die FDP in ihren besten Zeiten haben die Grünen in vielen Städten mit ihren Wahlempfehlungen rot oder schwarz die entscheidenden Stimmen zugeschoben. Die Unterstützung für den Duisburger CDUler Adolf Sauerland war ebenso der letzte Schlag für Bärbel Zieling, wie das Werben für den Dortmunder Sozi Gerd Langemeyer die Kampagne seines Gegners Frank Hengstenberg zerlegte. Dass Langemeyer die Dortmunder Grünen vor einem halben Jahr aus der Koalition gemobbt hat – wen interessiert‘s? Auch in Münster und Bielefeld hätte nicht viel gefehlt, und rote Kandidaten wären mit grüner Unterstützung Oberbürgermeister geworden.
Parteilos, nicht chancenlos. Einmal in der Stichwahl angelangt, sind parteilose Kandidaten kaum aufzuhalten. Der SPD-Flüchtling Hans-Wilhelm Stodollick holte in Lünen ebenso wie die CDU-Abtrünnige Uta Heinrich in Marl mehr als zwei Drittel der Stimmen. Das schöne Bild für die Parteilosen stört auch die Niederlage von Hans-Josef Stolten in Gladbeck kaum – denn der war klar erkennbar auf dem CDU-Ticket unterwegs.
Im Zweifelsfall SPD. Das Kernruhrgebiet ist wieder rot. Vor allem rund um Bochum und Dortmund hat die CDU kein Bein an die Erde bekommen. Grund dafür: Auch die niedrige Wahlbeteiligung. Klingt paradox – schließlich galt Wahlenthaltung im Stammland immer als schlechtes Zeichen für die Sozialdemokraten. Doch weil diesmal auch die CDU-Wähler zu Hause geblieben sind, gelten in vielen Rathäusern wieder die alten Verhältnisse. Der SPD-Straßenwahlkampf „um jede Eckkneipe“ (Generalsekretär Michael Groschek) hat sich vor allem in kleineren und mittleren Städten wie Hattingen, Witten, Bottrop, Gladbeck oder Sprockhövel ausgezahlt. Wenn nur ein paar zehntausend Menschen wählen gehen, können ein paar hundert persönliche Gespräche entscheiden. „Wer in Duisburg und Wuppertal gewinnt, kann in jeder Großstadt gewinnen“, hat CDU-Chef Jürgen Rüttgers am Wahlabend festgestellt. Stimmt auch. Nur müssen die Gegner dort schon Fehler machen wie Zieling und Kremendahl.
KLAUS JANSEN