Überflutung des Auges

Ob Sexindustrie oder Krieg als Medienware, Inge Besgen zerreißt sie alle. So entstehen ihre Collagen medial transportierter Gewalt. In Berlin wird die Rüsselsheimer Künstlerin von Opel vorgestellt

„Wer diese Bilder sieht, meint, sie seien von einem Mann oder einer jungen Frau. Einer ‚geilen‘ jungen Frau.“ Inge Besgen kennt das schon. Und das Erstaunen, wenn sie sich als Urheberin zu erkennen gibt. Inge Besgen ist 72 Jahre alt.

Zur Zeit zeigt sie einen Teil ihrer Arbeiten in Berlin, im Opel-Kommunikationszentrum in der Friedrichstraße. Es sind Collagen, für die Besgen Pornozeitschriften oder – aktuell – Bilder des Krieges aus Stern und Spiegel in Streifen reißt und neu zusammensetzt. 200 x 70 cm große Bildtafeln sind so entstanden. Arbeiten, die die allgemeine künstlerische Auseinandersetzung mit Gewalt um die Facette ihrer speziellen Bildtechnik bereichern.

„Ich hatte zwei Säcke mit Büchern geschenkt bekommen“ erzählt die Rüsselsheimerin, „und als ich sie Jahre später öffnete, entpuppten sie sich als Pornozeitschriften.“ Das war Anfang der 90er-Jahre. Inge Besgen hatte 1980, mit 49 Jahren begonnen, an der Rietveld Akademie in Amsterdam Kunst zu studieren. Nach vier Jahren schloss sie mit Auszeichnung ab. Die „Bücher“ hatte sie zu Hause in Rüsselsheim im Keller deponiert. Mittlerweile Kulturpreisträgerin der Stadt, traute sie sich nicht, die Hefte im Müll oder im Altpapier zu entsorgen.

Der Versuch, sie zu verbrennen, scheiterte: Die Magazine glommen nur. Also begann sie sie zu zerreißen und unter dem Gips einzuarbeiten, den sie als Grundlage für ihre abstrakten Gemälde benutzte. So entstand nach und nach die Technik, mittels derer sie heute ganze Bilderzyklen erstellt. Dokumente medial transportierter Gewalt.

Manche ihrer frühen Porno-Arbeiten sind bloß aus Einzelbildern zusammengesetzt, Anhäufungen von offenen Mündern, ejakulierenden Schwänzen, Vaginen, Brüsten, Gesichtern. Andere offenbaren dem Betrachter erst aus ein paar Metern Distanz ihren Inhalt: Menschen beim Geschlechtsverkehr, in allen möglichen Varianten und Darstellungen. Ausgeburten der Sexindustrie.

Die aktuellen Bildtafeln, für die Inge Besgen die Fotos der Kriegsschauplätze aus Stern und Spiegel vervielfältigte, farblich verfremdete, zerriss und wieder zusammensetzte, gehen in ihrer Wirkung noch einen Schritt weiter: Sie erscheinen wie Fernsehschirme im Kaufhaus oder einer Nachrichtenzentrale, die nebeneinander alle unterschiedliche Bilder zeigen und den Betrachter überfluten. Die deutlich sichtbaren Risse des Papiers symbolisieren die Frage nach der Echtheit dessen, was wir sehen, ein Flimmern scheint über die Oberfläche zu rauschen wie bei einer schlechten Bildübertragung. Und wie bei den Fernsehübertragungen von den Kriegsschauplätzen scheint nicht recht klar, sind wir nun Zeuge eines aktuellen Geschehens? Oder soll uns das mit Hilfe des medialen Geflimmers nur suggeriert werden?

Inge Besgen jedenfalls ist froh, dass die Bilder jetzt in Berlin hängen. Zwar hat sie in dem Automobilkonzern einen großzügigen Förderer ihrer Arbeit – Opel stellt der Künstlerin eine 400 qm große ehemalige Werkshalle als Atelier zur Verfügung und was die Künstlerin in den Montagehallen an Verwertbarem entdeckt, kann sie als Arbeitsmaterial verwerten. Doch bis zuletzt war nicht klar, ob die Herren des US-amerikanischen Konzerns es aushalten, diesen Teil der US-Allmachtsbemühungen ausgestellt zu sehen.

Freilich hängen die Bilder nicht allein. Stadtansichten von Berlin und Rüsselsheim hat Inge Besgen dazugegeben, die sie in gleicher Technik fertigte. Arbeiten, die wie Gefälligkeitsbilder neben den inhaltsschweren und provokanten Sex- und Kriegsbildern wirken. Das ernüchtert die Anhänger der meinungsstarken und lebendigen Künstlerin dann ebenso sehr, wie regelmäßig jene Herren enttäuscht werden, die beim Anblick ihrer Pornoarbeiten „eine geile junge Frau“ erwarten. SILKE BURMESTER

„Ripped’s“, Collagen von Inge Besgen bis zum 11. November, Opel-Marken- und Kommunikationszentrum Friedrichstraße 94, tägl. 10–20 Uhr