Fall durch Feder?

Die Schadensersatzklage einer britischen Bank bedroht die „Financial Times“. Und den Wirtschaftsjournalismus

Die Financial Times soll 230,5 Millionen Pfund Schadensersatz zahlen. So viel Geld hat noch niemand vor einem britischen Gericht verlangt. Die Investmentbank Collins Stewart Tullet behauptet, dass ein Artikel in dem lachsfarbenen Wirtschaftsblatt zum Sturz ihres Aktienkurses geführt habe. Dafür möchte man nun entschädigt werden.

Begonnen hatte es mit der Klage eines kleinen Angestellten gegen seine Entlassung. James Middleweek war als Analytiker bei Collins Stewart beschäftigt. Nachdem die Bank ihn im vorigen Herbst hinausgeworfen hatte, zog er vor Gericht und legte einen Stapel Papiere vor, die beweisen sollten, dass die Bank in Marktmanipulationen und Insidergeschäfte verwickelt war. Der Prozess hatte hohen Unterhaltungswert. Die Bank warf ihrem ehemaligen Angestellten Erpressung vor, der bezichtigte im Gegenzug den Bankgründer Terry Smith, einen ehemaligen Boxer, der die Aggressivität aus dem Boxring ins Geschäftsleben übertragen hat, ihm mit Mord gedroht zu haben.

Die Financial Times druckte Auszüge aus den Papieren ab, die Middleweek dem Gericht vorgelegt hatte. Zwar haben das auch andere Zeitungen getan, doch der Financial Times-Bericht sei der „einseitigste, ausführlichste und einflussreichste“ gewesen, behauptet Smith. Deshalb sei das Blatt schuld daran, dass der Aktienkurs der Bank um 16 Prozent fiel. Zwar hat er längst wieder denselben Stand wie vor dem Financial Times-Artikel erreicht, aber die Konkurrenten haben inzwischen um 20 Prozent zugelegt. Ein ähnlicher Kursgewinn sei Collins Stewart durch den Artikel vermasselt worden, sagt Smith.

Da die Finanzaufsichtsbehörde Collins Stewart im August von den Vorwürfen Middleweeks überraschend freigesprochen hat, glaubt man bei der Bank, dass man mit der nun eingereichten Klage gute Erfolgsaussichten habe. Die Financial Times dagegen beruft sich darauf, dass der Abdruck der Dokumente im öffentlichen Interesse war. Sollte Collins Stewart mit der Klage durchkommen, müsse man mit Wirtschaftsjournalismus aufhören, glaubt Theresa Wise von der Wirtschaftsberaterfirma Accenture. „Es wäre ein Präzedenzfall, der unglaublich weitreichende Folgen hätte“, sagte sie.

Vor allem für die bereits angeschlagene Financial Times. Die 1888 als „Freund des ehrlichen Finanziers und respektablen Börsenmaklers“ gegründete Zeitung erlebte vor zwei Jahren einen erheblichen Einbruch des Anzeigengeschäfts, auch die Auflage fiel. Einen Schadensersatz in solch astronomischer Höhe, wie Collins Stewart ihn fordert, könnte die Financial Times kaum verkraften. RALF SOTSCHECK