piwik no script img

Archiv-Artikel

Mit Schlafmitteln betäubt in Richtung Heimat

Europarat kritisiert Abschiebungspraktiken finnischer Behörden. Flüchtlinge mit Medikamenten ruhig gestellt

STOCKHOLM taz ■ Eine „absolut inakzeptable Praxis“ wirft das Europarats-Komitee für Folter und inhumane Behandlung finnischen Behörden bei der Abschiebung von Flüchtlingen vor. In einem Anfang dieser Woche veröffentlichten vorläufigen Rapport wird eine Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine genannt, die offenbar zur Sicherstellung einer „ruhigen“ Abschiebung mit Beruhigungs- und Schlafmitteln, aber auch mit neuroleptischen Medikamenten vollgepumpt wurde.

Der Asylantrag der 2001 nach Finnland geflüchteten Familie Sjimanskij war 2002 abgewiesen worden. Vater Mykola, der als Erster allein abgeschoben wurde, beschreibt in einem Brief: „Fünf Polizisten kamen in unsere Wohnung, legten mir Handschellen an und warfen mich aufs Sofa. Zu Hause bekam ich drei Injektionen. Auf der Fahrt nach Helsinki weitere sechs.“ Mutter Natalia, die mit der 11-jährigen Tochter und dem 12-jährigen Sohn zwei Wochen später ins Flugzeug nach Kiew verfrachtet wurde, erlebte Ähnliches: „Sie legten mir und meinen Kindern Handschellen an. Dann gaben sie uns Injektionen.“

Baptistenpastor Rafael Edström, der sich um die Familie kümmerte, fand nach deren Verbringung durch die Polizei in deren Wohnung leere Ampullen. Ermittlungen einer Europarats-Delegation, die im September Finnland besuchte, ergaben laut der Tageszeitung Helsingin Sanomat, dass Polizeibeamte die Injektionen von einer Krankenschwester vornehmen ließen, ohne einen Arzt beizuziehen.

Bei Natalia hatten die Medikamente offenbar die erwünschte Wirkung: Laut Helsingin Sanomat musste sie nach den Spritzen getragen werden. Im Griff zur Spritze, noch dazu mit neuroleptischen Medikamenten, sieht Oberarzt Hannu Lauerma vom psychiatrischen Krankenhaus Åbo die Gefahr schwerer Folgewirkungen. Er bezweifelt aber, ob die Polizei wirklich solche Medikamente verwendet.

Die Regierung in Helsinki hat mittlerweile reagiert. Premier Matti Vanhanen versprach eine „gründliche Untersuchung“ und beauftragte das Innen- und Sozialministerium, den Vorwürfen nachzugehen. Alvaro Gil-Robles, Kommissar des Europarats für Grundrechte, betonte auf einer Pressekonferenz, dass „bei Ausweisungen keinerlei physischer oder psychischer Druck vorkommen darf“, bezeichnete die Vorgänge als „schwerwiegend“ und forderte „klare politische Verantwortungsstrukturen“.

Finnlands Minderheiten-Ombudsmann Mikko Puumalainen bekam häufiger Beschwerden, die „mit medizinischen Umständen“ von Ausweisungen zu tun hatten. Kristina Stenman, auf Flüchtlingsfragen spezialisierte Juristin, glaubt ebenfalls nicht an einen Einzelfall. Es gebe immer wieder Gerüchte im Zusammenhang mit Abschiebungen, erklärt sie gegenüber Huvudstadsbladet, „wobei aber nur Polizei und Flüchtlinge genau wissen, was passierte. Aber es ist kein Geheimnis, dass manchmal harte Methoden angewandt werden.“

REINHARD WOLFF