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Archiv-Artikel

Detroit setzt auf schlanken Läufer

Seit sieben Jahren fährt Opel in Deutschland Verluste ein. Nun tritt die Konzernmutter General Motors auf die Notbremse. 7.000 Stellen sind gefährdet

VON KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Heute wird der US-amerikanische Automobilbaugigant General Motors (GM) ausgerechnet am Stammsitz der Adam Opel AG in Rüsselsheim das wohl gigantischste Sparpaket in der Nachkriegsgeschichte der Kfz-Branche in Europa für seine Tochterunternehmen Opel in Deutschland, Spanien und Belgien, Saab in Schweden und Vauxhall in England präsentieren. Bis zu 12.000 Stellen will GM in Europa abbauen; davon 7.000 allein bei Opel. Und der ganz aktuelle Favorit bei der Suche der Auguren nach einem Abstiegskandidaten, der heute von GM aus der Ersten Liga der Automobilbaustandorte in Europa „herausgekickt“ werden soll, ist plötzlich Bochum.

In einem internen Produktivitätsranking von GM mit dem schönen Namen „Footprint“ jedenfalls, das allerdings erst Ende November offiziell vorgestellt werden soll, ist das Opelwerk dort – im Vergleich mit drei anderen Produktionsstandorten für den neuen „Astra“ – auf dem letzten Platz gelandet. Bestätigt wurde diese Lokalzeitungsmeldung aus dem Ruhrgebiet gestern allerdings weder von GM noch von Opel. In Bochum stehen die Zeichen seit gestern dennoch auf Sturm (siehe unten). Bislang wurde „aus Opelkreisen“ lanciert, dass das Stammwerk in Rüsselsheim von GM geschlossen werden könnte; oder alternativ dazu das Werk von Saab in Trollhättan. In Rüsselsheim wird vom Gesamtbetriebsrat jedenfalls weiter plakatiert: „Ja zu Opel in Rüsselsheim und zu Saab in Trollhättan!“

Was aber will GM eigentlich? Um nach mehr als sieben Jahren mit tiefroten Zahlen in den Bilanzen vor allem von Opel in Europa wieder in die Gewinnzone hineinfahren zu können, müssten rund 500 Millionen Euro an Produktionskosten per annum eingespart werden, hieß es aus der Konzernzentrale in Detroit. Die Buchhalter in den USA zogen offenbar sehr spät die Notbremse. Denn tatsächlich summierten sich allein die an drei deutschen Standorten von Opel in Rüsselsheim, Bochum und Kaiserslautern (Motorenwerk) und den Standorten im westlichen Ausland aufgelaufenen Verluste seit 1996 auf knapp 3 Milliarden Euro; bilanziert Ende 2003. Und ohne die in Eisenach mit seinem modernen Fertigungswerk erzielten Gewinne hätte GM aktuell noch höhere Verluste bei Opel zu beklagen. Geld verdiente Opel in den letzten Jahren nur noch dort. Und seit 1998 auch in seinem polnischen Werk in Gleiwitz (Gliwice). Dort liegen die Produktionskosten rund 50 Prozent unter denen etwa bei den Opelwerken in Rüsselsheim oder in Bochum. Und das liegt nicht nur an den niedrigeren Löhnen, sondern auch an Rahmenbedingungen wie Steuern und Abgaben.

Schon vor einem Jahr vergab GM die Produktion des neuen Zafira nach Polen; bislang wurde der kleine Van in Bochum gebaut. Ein erstes Indiz für die Elimination des Produktionsstandorts im Revier? In Bochum sieht man das so. Dass der US-Konzern, wie vom Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Klaus Franz (Rüsselsheim) kolportiert, auf Weisung der US-Administration gehandelt habe und Polen mit dem Zuschlag für den Zafira für seine Beteiligung am Irakkrieg und den Kauf von Waffen in den Vereinigten Staaten belohnt worden sei, trägt allerdings nur zur Legendenbildung bei – und nicht zur Wahrheitsfindung. GM probiert in Polen aus, was geht – und was nicht. Läuft die Produktion des Zafira in Gleiwitz problemlos, könnte dort rasch ausgebaut werden: für die Massenproduktion etwa des Nachfolgemodells für den aktuell so erfolgreich laufenden Astra, der auch (noch) in Bochum gebaut wird.

Es könnte allerdings auch sein, dass GM keinen Standort ganz schließt, sondern überall in Europa „abspeckt“. Denkmodelle dazu gibt es bereits. In Bochum etwa könnte das Presswerk als Teilelieferant für die Werke in Thüringen und in Polen erhalten bleiben – als eigenständige GmbH. Und in Rüsselsheim könnten in den großen Abteilungen in Forschung und Entwicklung – nach einer eventuellen Produktionsstilllegung – noch 10.000 von jetzt 21.000 Beschäftigten in Lohn und Brot bleiben. Sie sind das „Hirn“ von Opel – und die Zukunft. Kooperiert wird in Rüsselsheim bei der Entwicklung von Motoren und Modellen schon heute mit Fiat in Italien, mit Daewoo in Südkorea und mit einem japanischen Hersteller. Bei „Powertrain“, der Firma von Opel und Fiat, geht es um die Motorenentwicklung; bei der Zusammenarbeit mit Daewoo um einen Geländewagen von Opel, gebaut in Asien. GM ist ein internationaler Konzern. Und entschieden wird in Detroit. Schließlich haben die Gebrüder Opel ihr Erbe schon Ende der 20er-Jahre des vorigen Jahrhunderts an die „Amis“ verkauft, um ihren Passionen – Radfahren und Autorennen auf einem Betonplattenring bei Rüsselsheim – sorgenfrei nachgehen zu können. Dass GM mit falschen Entscheidungen in den Neunzigerjahren – wie der Durchsetzung der Billigproduktion (Teile) und der Kappung der Oberklasse (Omega) – gerade Opel in Europa zuerst in Verruf gebracht und dann in die ganz große Krise hat fahren lassen, konnten die Brüder – längst alle tot – damals natürlich noch nicht voraussehen. Sie hätten wohl trotzdem verkauft.