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Archiv-Artikel

In den Händen Gottes

Angst? Warum bloß? Nach den Anschlägen auf Polizeistationen bemühen sich Iraks Polizisten um Gelassenheit

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Angst? Polizeioberst Ali Hassan steht an der Einfahrt zum Innenministerium in Bagdad und zupft an seinem Schnurrbart. Nein, das mit den Anschlägen sei ganz normal, meint er. „Jetzt fühle ich mich eher stärker, weil ich tief im irakischen Boden verwurzelt bin“, sagt er. Eine etwas bizarre Antwort, die an alte Zeiten erinnert, als die Iraker laut Saddam Hussein bejubelten und in Wirklichkeit etwas völlig anderes dachten, genauso wie sie heute die Amerikaner freundlich begrüßen und im Stillen aus dem Land wünschen. Und warum um Himmels willen sollte denn ein gestandener irakischer Polizist das Wort „Angst“ in den Mund nehmen, wenn allein in dieser Woche fünf irakische Polizeistationen in die Luft gejagt wurden, und dutzende Polizisten ihr Leben ließen.

Ein Gang auf den gegenüberliegenden Parkplatz dient als Realitätskontrolle. Ein Polizist gestikuliert wild mit der Kalaschnikow und pustet unablässig in seine Trillerpeife, während er mit der freien Hand auf die Kühlerhauben der vorbeifahrenden Wagen haut, um sie zum schnellen Weiterfahren aufzufordern. Ein Auto mit Sprengstoff sei auf dem Parkplatz gefunden worden, schreit er. Wenig später stellte sich das Ganze als falscher Alarm heraus.

Auch Captain Hasem Saleh Abed, der an diesem Abend in der Kanal-Polizeiwache im Norden Bagdads als diensthabender Offizier darauf wartet, dass die Sonne untergeht und er sein Ramadanfasten brechen kann, gibt sich eher gelassen. Polizisten leben nun einmal gefährlich, schließlich habe er den Beruf vor 13 Jahren nicht angefangen, um in seinem Büro „das Papier von der einen auf die andere Seite zu schieben“, sagt er. Über 60 irakische Polizisten arbeiten auf dem Revier, das für 125.000 Menschen zuständig ist – gut abgeschirmt. Wer Captain Hasem einen Besuch abstatten möchte, muss sich erst durchsuchen lassen, dann über Stacheldraht steigen, im Zickzack an mehreren Betonblöcken vorbei, um einen amerikanischen Jeep mit aufgepflanztem Maschinengewehr herum, um schließlich noch einmal misstrauisch beäugt in die Wache zu treten, in der amerikanische Militärpolizei und irakische Polizisten gemeinsam stationiert sind.

Als er am Montag nach Hause kam, dem Tag, als gleich drei Polizeiwachen in Bagdad von Selbstmordattentätern angegriffen worden waren, bat ihn seine Familie, sich ernsthaft zu überlegen, ob er nicht kündigen will. „Ich lege mein Schicksal in die Hände Gottes“, rechtfertigt der Captain, dass er im Polizeidienst bleibt: „Im Krieg hatte ich Angst um meine Familie und meine Kinder, die ich bei den Bombenangriffen an mich gedrückt hatte. Jetzt bin ich alleinige Zielscheibe. Damit kann ich wesentlich besser umgehen.“

Zur Zielscheibe wurde er, weil mancher im Irak denkt, die irakischen Polizisten seien Kollaborateure der amerikanischen Besatzung. „Wir sind keine politische Partei, sondern dazu da, für Recht und Ordnung zu sorgen“, begegnet Captain Hasem diesem Vorwurf. Plötzlich geht die Tür auf. Ein Offizier der amerikanischen Militärpolizei tritt ein. Schluss mit dem Gespräch, heißt es. Dem irakischen Polizisten seien ohne Genehmigung des US-Kommandanten keine Journalistenkontakte erlaubt. „Wir sind hier, um die irakischen Polizisten zu schützen. Wir müssen erst einmal sehen, ob es für ihn sicher ist, mit Journalisten zu sprechen“, erklärt der Offizier namens Marlott und bittet den irakischen Offizier aus dem Zimmer. Ein paar Minuten später hat er über Funk grünes Licht bekommen: Captain Hasem darf weiterreden.

„Vielleicht haben die Amerikaner Angst, dass ich etwas Falsches sage“, setzt er neu an, sichtlich in seinem Stolz getroffen. Die Amerikaner, im hinteren Teil der Wache stationiert, hätten nun einmal das Sagen: „Früher hatten wir Saddam und heute haben wir die Amerikaner, denen wir nach dem Mund reden sollen.“

Und wer wird auf den gemeinsamen Patrouillen ernster genommen, die amerikanischen Soldaten oder die irakischen Polizisten? „Die Amerikaner natürlich“, antwortet Captain Hasem ohne zu zögern, schließlich hätten die die größeren Waffen und zögerten nicht, sie einzusetzen. Die irakischen Polizisten müssten da vorsichtiger sein, denn sie wüssten nie, ob die Angehörigen am nächsten Tag vor der Tür stünden, um Blutrache zu nehmen. Sein privates Auto und seine Wohnungstür überprüft Captain Hasem jedenfalls jeden Tag sorgfältig.

Immerhin: Einige Erfolge konnten seine Kollegen auf dieser Wache schon vermelden. Erst vor zwei Tagen wurden sie bei einem Autodiebstahl gerufen, bereits eine Viertelstunde später hatten sie das Auto sichergestellt und den Dieb verhaftet, berichtet er stolz. Waren es im Mai zunächst nicht mehr als 10 Prozent der gemeldeten Fälle, die aufgeklärt werden konnten, schätzt Captain Hasem diese Zahl nun eher bei 70 Prozent. Von sieben in seinem Revier gemeldeten Kindesentführungen konnten immerhin fünf Kinder befreit werden, wenngleich der Captain zugibt: „Wer Geld hat, meldet eine Entführung erst gar nicht, sondern zahlt das Lösegeld und schweigt.“

Ein Kollege erinnert daran, dass es Zeit für das Iftar sei, das Ramadan-Frühstück nach Sonnenuntergang. Draußen lehnt ein von den Amerikanern angestellter irakischer Übersetzer am letzten Betonblock, sozusagen an vorderster Front der Polizeiwache. Ob ihm nicht mulmig zumute ist? „Ein bisschen schon“, gibt er zu und fügt hinzu, dass die Selbstmordattentäter bisher immer nur am frühen Vormittag ihre mit Sprengstoff voll beladenen Wagen in die Polizeiwachen gerammt haben. Glücklicherweise, sagt er, „fängt meine Schicht erst am späten Nachmittag an“.